Vergiss mich nicht ist ein grandioses Comic-Album, das sich einfühlsam mit dem Thema Alzheimer beschäftigt.
Eine schreckliche Diagnose
Clémences Großmutter Marie-Louise hat Alzheimer. Sie bricht wiederholt aus ihrem Altenheim aus, weshalb ihre Tochter, Clémences Mutter, sich zu einem schwierigen Schritt durchringt: Sie will sie chemisch ruhig stellen lassen.
Doch Clémence ist nicht bereit, das zu akzeptieren. Stattdessen entführt sie ihre Großmutter und reist mit ihr zum Haus ihrer Kindheit. Diese Reise ist allerdings nicht so einfach, wie sie sich das vorgestellt hat.
Ein sensibles Thema, dass sensibel behandelt wird
Alzheimer ist eine Diagnose, die keine Familie haben möchte. Mitzuerleben, wie ein geliebter Mensch, sei es Ehepartner, Elternteil oder Großelternteil, sich immer mehr und mehr in der Vergangenheit verliert, ist schwer zu ertragen. Noch mehr, wenn die Person dann Familienmitglieder nicht mehr erkennt. Oder wenn die Krankheit die Persönlichkeit des Betroffenen so verändert, dass sie aggressiv reagiert.
Es ist wahrlich kein einfaches Thema, dessen sich Alix Garin angenommen hat. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Vergiss mich nicht ihr Debüt darstellt. Weshalb man schon jetzt vor ihrem Mut, sich dieses schwierigen Themas anzunehmen, applaudieren muss.
Die Fallhöhe ist also enorm, eben weil dieses Thema so sensibel ist. Doch die Autorin und Illustratorin schafft es mit Bravour, dass man dranbleibt, dass man wissen möchte, wie es weitergeht. Eben weil die Story, die sie hier erzählt, nicht nur die von Marie-Louise ist, sondern auch die von ihrer Enkelin Clémence.
Vergangenheit und Gegenwart
Man lernt hier im Laufe der Geschichte eine junge Frau kennen, die impulsiv ist. Die manchmal aus dem Affekt heraus handelt und erst später über die Konsequenzen nachdenkt. Was man bei der Entführung ihrer Großmutter merkt, die spontan geschieht, ohne großartig geplant zu werden. Weshalb sie so sympathisch wirkt.
Doch auch Marie-Louise wird großartig dargestellt. Mit viel Fingerspitzengefühl lernt man eine Frau kennen, die nur noch wenige Momente der Klarheit hat. Die mal meint, ein Mädchen zu sein, das noch bei seinen Eltern wohnt, oder ein Kind, das eine Wasserschlacht anfängt.
Immer wieder gibt es neue Wendungen. Mal zeigt sich Clémence überfordert, mal genießt sie es, mit ihrer Oma beispielsweise ein Bad zu nehmen. Und die wenigen Momente, in denen ihre Großmutter ihr mit Rat und Tat zur Seite steht, wie etwa, als sie aus Rache den Motorradreifen eines Bikers aufschlitzt, werden grandios inszeniert.
Dabei fokussiert sich Alix Garin nicht nur auf die Gegenwart. Ebenso gibt es immer wieder Rückblenden in die Vergangenheit. Wo man mehr über die Beziehung zwischen Enkelin und Großmutter erfährt. Aber ebenfalls darüber, wie Marie-Louises Leben als Erwachsene aussah. So kann sie unter anderem auf eine gescheiterte Liebesbeziehung zurückblicken.
Es wird sich Zeit gelassen
Dabei sind die Momente, die die Autorin und Künstlerin in ihrem Album einbaut, nicht nur melancholisch oder lustig. Stellenweise geht es durchaus ordentlich zur Sache und es fliegen die Fäuste. Es sind dabei diese Momente, wo klar wird, dass Clémence sich zur Not auch physisch wehren kann.
Die Reise, die in Vergiss mich nicht geschildert wird, ist voller Wendungen, die man so nicht hat kommen sehen. Es ist eine überwiegend melancholische Geschichte, die die Protagonisten mit Respekt behandelt. Und die mit einem überraschenden Ende aufwartet, das deutlich macht, wie die Zeit vergehen kann.
Alix Garin nimmt sich für die Schilderung der Geschichte Zeit. 224 Seiten umfasst das Album und doch hat man nicht das Gefühl, dass es zu lang ist. Im Gegenteil: Der große Umfang rührt daher, weil die Autorin ihrer Story Zeit lässt. Es gibt viele Panels, die auch einfach nur zeigen, wie die Figuren sich bewegen. Wie sie nachdenken oder Alltägliches tun. Das führt dazu, dass die Geschichte wie fest in der Realität verankert wirkt.
Wunderbare Experimente
Und dann gibt es auch noch die Momente, wo sie ihren bisherigen Zeichenstil aufbricht und wild herumexperimentiert. Bei den Farbgebungen hält sie sich zurück. Oft genug werden einzelne Szenen durch einen einzigen Farbton dominiert, ohne dass es forciert wirkt.
Vergiss mich nicht ist ein grandioses und anrührendes Album.
Info
Autor, Zeichner: Alix Garin
Verlag: Splitter
Sonstige Informationen: Produktseite
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