In Carmilla führt große Besorgnis zu großen Katastrophen.

Carmilla - Die erste Vampirin
Cover © Splitter Verlag

Eine prominente Vorlage

Carmilla ist der Titel einer Gothic Novella, die von dem irischen Autor Sheridan Le Fanu im Jahr 1872 verfasst wurde. Es handelt sich dabei um eine Vampirgeschichte mit lesbischen Untertönen, die 25 Jahre vor Bram Stokers Dracula herauskam. Und auch, wenn letztere Story bekannter ist, sind die Einflüsse von ersterer Geschichte auch heute noch wahrnehmbar, wie man beispielsweise in der Castlevania-Serie sieht.

Doch gleichzeitig ist die Erzählung auch die Vorlage für den gleichnamigen Comic, der jetzt im Splitter-Verlag herausgekommen ist. Ursprünglich erschien die Story in den USA beim Dark-Horse-Verlag. Geschrieben wurde das Album von Amy Chu, die bereits viele Geschichten für andere Comicverlage verfasst hat, darunter auch bei Marvel, wo sie eine Zeit lang die Abenteuer von Deadpool schrieb. Illustriert wurde der Comic von Soo Lee, die unter anderem für Skybound oder Dynamite Comics gearbeitet hat.

New York im Jahr 1995. Eine Mordserie an jungen Frauen erschüttert die Stadt. Und als die Sozialarbeiterin Athena, deren Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen, herausfindet, dass sich eine ihrer Klientinnen unter den Opfern befindet, wird sie aktiv. Sie ermittelt auf eigene Faust und stößt schon bald auf einen Nachtclub, wo sie die mysteriöse und anziehende Violet kennenlernt.

Eine besondere Ära

Ehe sie sich versieht, nistet sich diese junge Frau bei ihr ein und verdrängt immer mehr ihre Geliebte Morgan aus ihrem Leben. Es scheint, als ob an ihr mehr ist, als es den Anschein ist. Doch ist für Athena zunächst unklar, was genau mit ihr los ist und welche Rolle das Buch Carmilla dabei spielt.

Die 1990er Jahre waren eine besondere Zeit. Es war eine Ära, in der es kurz so aussah, als ob die Welt sich endlich positiv weiterentwickeln würde. Vertreter der LGBTQ-Community konnten sich offener zeigen und auch, wenn das AIDS-Virus immer noch ein Thema war, hatte es ein wenig seinen Schrecken verloren.

Als Handlungszeit hätte Amy Chu also keine bessere auswählen können. Es ist eine Zeit des Übergangs, in der sich viele Dinge verändert haben. Wenn man jetzt noch das Thema Vampire mit einbezieht, dann hätte Carmilla durchaus Potential gehabt, eine spannende Geschichte zu werden.

Malen nach Zahlen

Doch leider schafft es das Album nicht, aus einer vielversprechenden Idee etwas zu machen. Im Gegenteil: In vielfacher Hinsicht fällt der Comic flach aus. Er schafft es nicht, den Leser davon zu überzeugen, dass hier eine spannende Geschichte stattfindet. Was auch daran liegt, dass die Autorin nicht sonderlich subtil vorgeht.

Von Anfang an ahnt man bereits, wie der Hase läuft. Schon vom ersten Auftauchen Violets an hat man so eine Ahnung, was sie sein könnte, die durch ihr Verhalten deutlich verstärkt wird. Und so gerät Carmilla sehr schnell zu einer Art Malen nach Zahlen, bei dem man exakt vorhersagen kann, was als nächstes geschehen wird.

Wohl um dem entgegenzuwirken führt Amy Cho nach einer gewissen Zeit auch noch die tragische Familiengeschichte ihrer Protagonistin Athena ein. Sie ist das Kind einer chinesichstämmigen Familie, von der nur noch der Großvater lebt. Doch was nach einem vielversprechenden Familiendrama klingt, entwickelt sich dann ab der zweiten Hälfte des Albums in eine unvorhergesehen und leider auch schlechte Richtung. Denn auf ein Mal wird ihr erklärt, dass sie etwas Besonderes ist und dass der Unfalltod ihrer Eltern kein Unfalltod war. Es ist ein Plottwist, der im Kontext der Story keinen Sinn ergibt.

Potential nicht genutzt

Eventuell wäre es besser gewesen, wenn die Autorin einfach die Geschichte von Carmilla in einer modernen Umgebung nacherzählt hatte. Doch stattdessen entsteht mehr der Eindruck, dass sie zu viel will. Sie will ein Drama erzählen, mit mysteriösen Elementen, aber auch Anleihen einer Kriminalgeschichte. Und gleichzeitig zitiert sie wiederholt aus dem titelgebenden Werk, was allerdings im Kontext der Geschichte des Albums wie aufgesetzt und wenig überzeugend wirkt.

Es ist aber auch schade, dass die Illustrationen von Soo Lee nicht überzeugen können. Man sieht anhand der Skizzen am Ende des Albums, dass sie eine fähige Zeichnerin ist. Trotzdem wirken einige Panels so, als ob sie unter großem Zeitdruck stand und dementsprechend einige Gesichter unfertig wirken. Die teils monoton flächendeckende Koloration tut ihr übriges, um abzuschrecken.

Potential wäre dagewesen. Doch Carmilla nutzt dieses nicht und enttäuscht daher sehr. Mal sehen, was die Fortsetzung bringen wird.

Autoren: Amy Cho
Zeichner/Farben: Soo Lee
Verlag: Splitter
Sonstige Informationen: Produktseite

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