Nach einer Gefängnisrevolution im Schacht scheint zunächst alles gerechter zuzugehen.

Eine Revolution der Solidarität

Der Schacht ist ein dystopisches Gefängnis, in dem die Inhaftierten paarweise auf 333 Ebenen verteilt sind. Jeden Tag fährt ein Fahrstuhl mit Essen von oben nach unten, was zu einer ungleichen Verteilung der Lebensmittel führt. Zumindest war das bisher so, denn jüngst gab es eine Revolution der Solidarität. Seither achten die Inhaftieren sehr genau darauf, dass jeder nur die Ration nimmt, die ihm zusteht. Die Häftlinge auf den benachbarten Ebenen wachen über jene, die gerade am Schlemmen sind, und wenn sich jemand zu viel nimmt, dann wird die Kunde über alle Ebenen verbreitet.

Doch leider funktioniert das System der solidarischen Selbstorganisation nicht ganz so perfekt wie erhofft. Es halten sich nämlich nicht alle an die neuen Regeln und so muss der Neuling Zamiatin (Hovik Keuchkerian) feststellen, dass irgendwer von einer oberen Ebene seine Pizza weggefuttert hat. Seinerseits darf er aber auch nicht das Essen der anderen anrühren, weshalb er hungern muss. Seine Zellengenossin Perempuan (Milena Smit) glaubt an die Gerechtigkeit des neuen Systems und hält Zamiatin davon ab, gegen die Regeln zu verstoßen.

Deren Einhaltung wird von so genannten „Gesalbten“ durchgesetzt, die drakonische Strafen gegen Quertreiber verhängen und tatsächlich erhält Zamiatin beim nächsten Ma(h)l seine Pizza. Das Essen der bei der Strafaktion getöteten Häftlinge wird derweil vernichtet, damit es nicht erneut zu einer Ungleichverteilung kommt. Doch als die beiden Zellengenossen im nächsten Monat von der Ebene 24 auf die Ebene 180 verlegt werden, merken sie, dass dort gar nichts mehr ankommt und Zamiatin muss hungern. Schlussendlich zündet er sich in seiner Verzweiflung selbst an und findet dabei den Tod.

Im folgenden Monat wird Perempuan auf Ebene 51 verlegt, wo sie auf ihre neue Zellengenossin Sahabat (Natalia Tena) trifft. Obwohl dieser bereits bei einer Strafaktion ein Arm amputiert wurde, glaubt sie an das System. Als auf einer der unteren Ebenen mehrere Gefangene dagegen verstoßen und sich die Bäuche voll schlagen, fahren sie mit dem Fahrstuhl runter, um sie zu bestrafen. Allerdings ist das gar nicht ihre Aufgabe, weshalb sie kurz darauf ihrerseits von einem Gesalbten hart bestraft werden. Perempuan verliert dabei einen Arm und Sahabat ihr Leben.

Aufgrund der drakonischen Gewaltorgie verlieren immer mehr Inhaftierte ihren Glauben an das System und schließen sich zu einer erneuten Revolution zusammen. Gemeinsam töten sie den blinden Gesalbten Dagin Babi (Óscar Jaenada) und dessen Anhänger, wobei aber ebenso viele Revolutionäre sterben. Perempuan landet schlussendlich auf Ebene 333, wo sie auf einen Jungen trifft. Sie rettet ihn vor den Kannibalen am Boden des Schachtes und lässt ihn mit dem leeren Aufzug ganz nach oben fahren.

Die Revolution frisst ihre Kinder

Zunächst scheint es so, dass die Gefangenen des Schachtes eine solidarische Form der Selbstorganisation gefunden haben. Dieses System krankt jedoch an zwei Dingen: Zum einen existiert es innerhalb des ungerechten Systems der Gefängnisleitung und bekanntlich gibt es kein gutes Leben im Schlechten. Zum anderen wäre da die menschliche Natur, die einige zu Verstößen verleitet. Noch schlimmer sind jedoch die „Gesalbten“, die sogar unbedeutende Verstöße mit drakonischen Strafen ahnden.

Ein Gefangener, der dies verteidigt, hört passenderweise auf den Spitznamen Robespierre. Das ist eine ziemlich offene Anspielung auf die französische Revolution, wobei sich diese bereits im Grundplot wiederspiegelt. Immerhin hat auch im Schacht das einfache Volk nicht genug zu essen und je tiefer jemand steht, desto größer wird der Hunger. Aus diesem Grund haben die Franzosen 1789 völlig zu Recht gegen die Monarchie rebelliert und diese zu Fall gebracht. Doch leider artete das Ganze schließlich im blanken Terror der Jakobiner aus, der sich sogar gegen Mitrevolutionäre richtete.

Ähnliches ist auch im Schacht zu erleben, als Dagin Babi Befürworter der Revolution hart bestrafen und sogar ermorden lässt. Wie einst in Frankreich fliegen da schon mal Köpfe, wobei die gegen Sahabat verhängte Strafe fast noch schlimmer ist. Sie wird nackt auf den Essenslift gefesselt, um von den Gefangenen der unteren Ebenen nach Strich und Faden gelyncht zu werden. Der Psychopath Babi rechtfertigt diesen Terror nicht nur, sondern feiert ihn regelrecht. Damit erinnert er an einen weiteren Revolutionär, der sich gegen alles gewandt hat, wofür die Revolution einst stand.

Die Rede ist von Josef Stalin, dessen großer Säuberung ebenfalls nicht nur Gegner der Bolschewiki zum Opfer fielen, sondern mindestens ebenso viele Kommunisten. Im Prinzip war er der größte Konterrevolutionär aller Zeiten. Sein psychopathischer Charakter, inklusive der krankhaften Paranoia, spiegelt sich bei Dagin Babi 1:1 wider. Diesem haftet zudem noch eine religiöse Aura an, denn er nennt sich „Gesalbter“ und spielt sich als blinder Prophet auf. Seine Augen hat er während der Revolution verloren, doch meint er, immer noch den absoluten Durchblick zu haben.

Sein Terrorregime kann sich allerdings nicht lange halten. Im Gegensatz zur Stalinära folgt hier die nächste Revolution. Was danach kommt, bleibt jedoch offen, da kaum jemand übrig bleibt. Wie bereits beim ersten Teil wird als Hoffnungsschimmer ein Kind mit dem Aufzug nach oben geschickt. Doch wo kommt dieses Kind eigentlich her und was ist am Ende überhaupt noch real?

Die Wirren der Revolution

Es gibt einige Aspekte, die am zweiten Teil übel aufstoßen. Das beginnt schon damit, dass Der Schacht 2 ein Prequel von Der Schacht sein soll. Eigentlich würde es mehr Sinn ergeben, der generellen Kritik an der Klassengesellschaft chronologisch die Kritik an den völlig verfehlten Konsequenzen der Revolution folgen zu lassen. Obendrein fängt im ersten Teil alles wieder bei Null an, womit die zeitliche Einordnung letztendlich egal ist.

Schlimmer sind ohnehin die himmelschreienden Logikfehler. So gelangen die „Gesalbten“ zwar mit dem Aufzug auf die unteren Ebenen, um ihre Strafaktionen durchzuführen. Aber wie schaffen sie es wieder zurück nach oben? Während der Aufzug nämlich gemächlich mit Zwischenstopps zur Nahrungsaufnahme nach unten fährt, saust er wie aus der Pistole geschossen wieder nach oben. Das ist definitiv zu schnell, um auf- und abzusteigen. Im Prinzip müssten die Killerkommandos jedes Mal bis zum nächsten Monat warten, wenn alle Gefängnisinsassen wieder neu verteilt werden.

Dies geschieht immer nachts, wobei ein Betäubungsgas verströmt wird. Sahabats Ausbruchspläne sind dabei jedoch vergeblich, denn niemand kann die ganze Nacht den Atem anhalten. Perempuan gelingt es am Ende irgendwie doch, wach zu bleiben. Oder halluziniert bzw. träumt sie nur, was dann geschieht? Denn was macht ein Kind in einem Gefängnis für Erwachsene? Noch dazu soll es sich wohl um eben jenen Jungen handeln, der durch eines ihrer Kunstwerke gestorben ist. Das kann einfach nicht real sein!

Im Übrigen machen auch Perempuans Haft sowie die Umstände, die sie dorthin gebracht haben, überhaupt keinen Sinn. Sie war Künstlerin, wobei ihre Werke lebensgefährlich waren. Trotz der scharfen Krallen ihrer Bestien hat sie darauf verzichtet, ihre Kunst mit Absperrungen zu sichern, weshalb ein Junge in eines hineingerannt ist und dabei tödlich verletzt wurde. Dies wurde trotz der Fahrlässigkeit als Unfall anerkannt und Perempuans Versicherung hat die Familie des toten Kindes entschädigt. Es gab also keinerlei Verurteilung gegen die Künstlerin und wenn man die Szene, in der sie mit der Gefängnisleitung spricht, richtig interpretiert, ist sie freiwillig im Schacht, um Buße zu tun.

Ihr Zellengenosse Zamiatin ist ebenfalls nur dort, weil er fast seine Familie ermordet hätte. Aber eben nur fast. Also entweder liegt dem Schacht ein völlig krudes Rechtssystem zugrunde oder die Inhaftierten sind masochistisch veranlagt, dass sie sich dem freiwillig aussetzen. Die eigentliche Botschaft des Films wird durch diese wirren Aussagen ein Stück weit ad absurdum geführt. Für weitere Verwirrung sorgt schlussendlich noch die Schwerelosigkeit während des Monatswechsels. Befindet sich der Schacht im Weltraum?  Oder träumt Perempuan das alles nur?

Für Letzteres sprechen traumhafte Zwischensequenzen, in denen Kinder eine Pyramide besteigen, mit dem Jungen an der Spitze. Was haben diese Szenen zu bedeuten? Wird darin noch einmal die klassistische Gesellschaftspyramide versinnbildlicht, was im Prinzip überflüssig wäre? Oder handelt es sich um eine gänzlich andere Symbolik? Hat vielleicht bloß jemand seinen Ägyptenfetisch ausgelebt? Egal, diese Sequenzen stiften jedenfalls nur zusätzliche Verwirrung und tragen nichts zur Handlung bei.

Fazit: Schicht im Schacht!

Im ersten Teil war das Kernthema wesentlich klarer umrissen und daher auch leichter verständlich. Dabei beginnt die Fortsetzung gar nicht mal schlecht und man erkennt schnell die Richtung, in die es diesmal geht. Die Botschaft lautetet: Die Revolution frisst ihre Kinder, was hier mitunter sehr wörtlich zu verstehen ist. Die rohe Gewalt, die bis hin zu Androhungen und Schilderungen von Kannibalismus reicht, dürfte wahrlich nicht jedermanns Geschmack sein. Wobei das schon bei Teil 1 der Fall war. Diesmal kommen jedoch noch jede Menge Logikfehler und extrem wirre Traumsequenzen hinzu, sodass man sich am Ende fragt, ob das überhaupt noch real sein soll? Dies alles führt dazu, dass Der Schacht 2 deutlich hinter seinem Vorgänger zurück bleibt.

Info

Originaltitel: El Hoyo 2
Drehbuch: Galder Gaztelu-Urrutia, David Desola, Egoitz Moreno, Pedro Rivero
Regie: Galder Gaztelu-Urrutia
Musik: Aitor Etxebarria
Kamera: Jon Sangroniz
Schnitt: Haritz Zubillaga

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