Review: Erddämmerung (James Rollins)

In Erddämmerung droht der Mond, auf den Planeten herabzustürzen.

Absturzgefahr

Jahrtausende in der Zukunft: Die Erde steht still. Nur noch ein kleiner, schmaler Streifen ist lebensfähig. Das Wissen über die Vergangenheit ist längst zu Sagen und Legenden geworden.

Doch das Leben auf dem Planeten ist bedroht. Die junge Nyx empfängt eine Vision, nach der der Mond auf die Oberfläche herabstürzen wird, und so alles Leben auslöschen wird. Allerdings gibt es nur wenige, die ihr glauben, und diese Personen haben nicht die Macht, die nötig ist, das Unaufhaltsame aufzuhalten. Oder etwa doch?

James Rollins ist vor allem durch seine Science-Thriller-Reihe SIGMA-Force berühmt geworden. Sie ermöglichte es dem 1961 in Chicago geborenen Autor, seine veterinärmedizinische Praxis zu verkaufen und sich voll und ganz dem Schreiben zu widmen. Dabei verfasste er unter dem Pseudonym James Clemens ebenso Fantasy-Romane.

Eine interessante Welt

Der Handlungsort von Erddämmerung ist interessant und wird auch spannend umgesetzt. Das Szenario, das die Erde stillsteht und das Leben nur noch auf einem schmalen Streifen zwischen extremer Kälte und Hitze möglich ist, wurde in der Phantastik nur selten verwendet. Und man merkt der Geschichte an, dass sich James Rollins Gedanken gemacht hat, wie das Leben in der Zukunft aussehen könnte.

Dank der zehn Schwarz-weiß-Illustrationen, die inbegriffen sind, erhält man einen guten Einblick, wie sich vor allem die Tierwelt weiterentwickelt hat. Manche Kreatur wirkt fremdartig und doch vertraut. Man kann also die Herkunft so mancher Wesen in Erddämmerung zumindest erahnen.

Auch die Menschheitskultur wirkt interessant. Denn natürlich ist nicht alles in Ordnung. Demokratie existiert nicht mehr, stattdessen droht ein verheerender Krieg zwischen zwei großen Reichen. Es gibt Anhänger eines Kultes, die alte Technologie mit teils barbarischen Mitteln wieder zum Leben erwecken, sowie einen Turm, der ein Bildungsinstitut beherbergt, dessen Schüler und auch Absolventen hoch angesehen sind.

Ein zähes Vergnügen

In dieses Szenario führt James Rollins jetzt die Protagonisten von Erddämmerung ein. Allen voran die junge Nyx ist es, auf der das Augenmerk des Autors liegt. Sie ist von einer zunächst mysteriösen Herkunft, die aber schon bald aufgeklärt wird. Und sie ist zu Anfang blind, ehe ein Anschlagsversuch auf sie dazu führt, dass sie ihr Augenlicht zurückgewinnt.

Weitere Protagonisten sind Prinz Kanthe, dessen Vater ihn verachtet, der Kleingauner Rhaif, der auf ein wichtiges Überbleibsel der Vergangenheit stößt, sowie der in Ungnade gefallene Soldat Graulin.

Im Prinzip bringt Erddämmerung also beste Ausgangsvoraussetzungen dafür mit, den Leser sehr gut zu unterhalten. Doch leider wird das Potential nicht wahrgenommen. Im Gegenteil: Mitunter liest sich das Buch äußerst zäh.

Hat man Zeit oder hat man sie nicht?

Das große Problem ist, dass der Band Zeit braucht, bis er genügend Fahrt aufgenommen hat. 842 Seiten ist dieser Roman stark. Doch so wirklich unterhalten wird man erst im letzten Drittel der Geschichte. Alles, was davor kommt, mag einfach nicht überzeugen.

Es ist auch nicht empfehlenswert, dass sich James Rollins in Erddämmerung Zeit lässt. Mit einer unglaublichen Gemächlichkeit schildert er lang und breit die Erlebnisse seiner Protagonisten. Und immer dann, wenn man meint, dass die Story jetzt endlich so weit ist, führt er noch eine Figur, noch ein Detail, noch eine Wendung ein, deren Sinn sich einem nicht sofort erschließt.

Noch schlimmer ist, dass die Antagonisten einfach nur irgendwelche Klischees sind. Sie sind böse, weil sie … nun ja, weil sie böse sind. Weil sie Macht wollen, weil sie ihre eigenen Interessen verfolgen und weil sie Böses machen. Doch in ihrer simplen Charakterisierung enttäuschen sie.

Es ist schade, dass James Rollins aus dem Potential der Story in Erddämmerung nichts macht.

Autor: James Rollins
Titel: Erddämmerung
Originaltitel: The Starless Crown – Moon Fall Series Book 1
Übersetzer: Michael Siefener
Verlag: Heyne
Erschienen: 10/2022
Einband: Taschenbuch
Seiten: 846
ISBN: 978-3-453-31127-4
Sonstige Informationen:
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Götz Piesbergen

Götz ist Jahrgang 78 und unser Chefredakteur. Er schreibt über Romane, Sachbücher, Filme, Serien und eine eigene Kolumne. Kurz: Er hält den Laden am Laufen.

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