In Stowaway bringt ein blinder Passagier eine Marsmission fast zum Scheitern.
Die Handlung
An Bord eines Raumschiffs des Konzerns Hyperion befinden sich die Kommandantin Marina Barnett (Toni Colette), die Ärztin Zoe Levenson (Anna Kendrick) und der Biologe David Kim (Daniel Dae Kim). Sie sind auf dem Weg zum Mars, wo sie Vorbereitungen für eine dauerhafte menschliche Besiedlung treffen sollen.
Kurz nach dem Start entdeckt Barnett einen verletzten Mann, der gar nicht an Bord hätte sein dürfen. Levenson versorgt seine Wunde. Es stellt sich heraus, dass der Mann namens Michael Adams (Shamier Anderson) ein Hyperion-Ingenieur ist, der an den Startvorbereitungen beteiligt war. Allerdings ist eine Rückkehr zur Erde an dieser Stelle bereits unmöglich. Der Ingenieur muss an Bord bleiben.
Schnell kommt es zu ernsten Schwierigkeiten. Ein CO2–Filter ist beschädigt und die Sauerstoffvorräte reichen nur für drei Personen. Die Reise zum Mars wird noch fünf Monate dauern. Die Besatzung arbeitet fieberhaft an einer Lösung und weiht Adams zunächst nicht ein, da eine denkbare Lösung wäre, Adams zu töten. Mit diesem Vorschlag ist Levenson allerdings alles andere als einverstanden. Kim stellt seine Algenproben zur Verfügung, die eigentlich für den Mars gedacht sind. Mit ihnen soll Sauerstoff hergestellt werden, doch der Versuch schlägt fehl.
Die einzige Möglichkeit, an Sauerstoff zu kommen, ist ein Tank mit flüssigem Sauerstoff, der sich jedoch weit außerhalb des Raumschiffs befindet. Da Barnett sich beim Auffinden des blinden Passagiers am Arm verletzt hat, bleiben nur Levenson und Kim, um dorthin zu klettern. Beide machen sich in Raumanzügen auf den Weg. Auf dem Rückweg wird Barnett vom Warnsystem des Schiffs auf einen Sonnensturm aufmerksam gemacht. Die Zeit zur Rückkehr zum Schiff wird für Levenson und Kim sehr knapp.
Rezension
Stowaway ist mit fast zwei Stunden ein recht langer Film, der obendrein mit nur vier Schauspielern und wenig Action auskommt. Die Anfangsszenen zeigen den Start der Rakete, die die Expeditionsmitglieder zum Raumschiff bringen soll. Bereits hier hat mich Stowaway gepackt, da alles sehr authentisch und überzeugend wirkt. Die Technik, die Raumanzüge, der Höllenritt ins All selbst erinnern eher an die vergangenen Apollomissionen als an futuristische Missionen, quasi eher Science als Fiction. Das wird auch deutlich, als es um die Algenproben geht. Die Möglichkeit, aus Algen Sauerstoff zu gewinnen, ist aktuell Thema in der Forschung. Futuristisch dagegen ist beispielsweise die künstliche Schwerkraft, die technisch durchaus machbar wäre, aber noch nicht in Gebrauch ist.
Gemeinschaft
Eine Mission, die zwei Jahre dauern soll, muss nicht nur technisch gut überlegt sein. Auch die teilnehmenden Personen müssen fähig sein, einen so langen Zeitraum ohne weitere Gesellschaft auszuhalten und den beengten Platz miteinander zu teilen. Die Zuschauenden erfahren aus Gesprächsfetzen, dass die Teilnehmenden durchaus viele Test verschiedener Art durchlaufen mussten, um schließlich ausgewählt zu werden. Dennoch bleibt eine Unsicherheit. Menschen sind emotional, zwei Jahre sehr lang und es werden viele Kompromisse nötig sein, um alles zu überstehen. Psychisch wird eine solche Expedition viel abverlangen, besonders wenn es schon zu Anfang zu erheblichen Problemen kommt.
Zu Beginn ist die Atmosphäre an Bord fröhlich und die drei verstehen sich offenbar gut, auch wenn Kim und Levenson aufgrund ihrer besuchten Universitäten (Yale und Harvard) sich gegenseitig necken. Selbst als Adams unerwartet auftaucht, bleiben alle drei nach anfänglichem Schrecken freundlich. Sie überlegen, wie sie Adams integrieren können, welche Aufgaben er übernehmen kann, und beginnen ihn zu mögen. So viel Positivität ist ein Glücksfall, aber einen Hauch zu dick aufgetragen.
Stowaway ist eine interessante Charakterstudie, die den Zusammenhalt und Emotionalität beleuchtet. Insgesamt wirken alle Besatzungsmitglieder sehr gefasst und es kommt erstaunlicherweise nicht zu heftigen Auseinandersetzungen, sondern höchstens zu Meinungsverschiedenheiten. Selbst als Kim seine lang vorbereitete Forschung für das Überleben aller opfern muss, ist er erstaunlich gefasst, auch wenn ihm seine Enttäuschung anzusehen ist.
Emotionen
Zoe Levenson
Nach dem Start kam mir Levenson ein wenig albern vor mit ihrer kindlich-begeisterten Reaktion auf den geglückten Start. Allerdings habe ich mich später im Geiste bei ihr entschuldigen müssen, denn sie stellte sich als kompetente, besonnene, empathische Medizinerin dar. Ganz und gar Ärztin ist sie natürlich auch nicht mit der Option, Adams töten zu müssen, um zu überleben, einverstanden und erkämpft sich Zeit zum Bedenken und zur Suche nach anderen Lösungen. Das tut sie mit Argumenten und Bestimmtheit. Die Stimme zu erheben ist gar nicht nötig. Überhaupt erhebt niemand im Streit die Stimme. Sie bleibt auch eisern bei ihrem Vorschlag, die Stahlseile zu erklettern, um an den flüssigen Sauerstoff zu kommen und lässt sich davon nicht abbringen. Gleichzeitig zeigt sie sehr viel Verständnis für Adams Lage und verspricht ihm, ihn nicht im Stich zu lassen, was zunächst eher wie ein typisches Mittel zur Beruhigung aussieht. Allerdings hält sie ihr Versprechen und opfert sich am Ende für alle.
Marina Barnett
Barnett ist eine erfahrene Pilotin und Führungskraft, was man ihr anmerkt. Selbst in Extremsituationen behält sie einen kühlen Kopf. Sie hört sich die Meinungen anderer an und lotet alles gemeinschaftlich aus bis sie letztlich entscheidet. Sie zeigt ebenso Verständnis für die anderen und ihren Sichtweisen, hält jedoch trotzdem genügend Abstand, um ihre Entscheidungen treffen zu können. Ihre Verletzung hindert sie an verschiedenen Dingen, sodass sie delegieren muss. Die Aufgabe, die kaputte Luftreinigung zu entfernen, ist noch leicht abzugeben. An Bord bleiben zu müssen, während die anderen den Aufstieg zum Sauerstofftank übernehmen, erscheint schon schwieriger. Sie hätte es lieber selbst gemacht, um wenigstens eine Person in Sicherheit zu wissen, da sie als Kommandantin letztlich die Verantwortung trägt. Auch das Selbstopfer für das Überleben der anderen hätte sie liebend gerne selbst übernommen, wie in der emotional aufgeladenen Szene sichtbar wird. Ihre Emotionen lebt sie jedoch lieber allein für sich aus. Der Umstand, dass ein Abbruch nicht mehr möglich ist, Adams mitfliegen muss und das Wissen um den Sauerstoffmangel lassen sie kurz sehr sichtbar verzweifeln. Es hängt schließlich auch ihr Leben davon ab. Diesen Moment verbringt sie allein, um die schlechte Nachricht den anderen gefasst überbringen zu können.
David Kim
Kim macht den Eindruck eines sehr kontrollierten Menschen. Zu Anfang geht es ihm nach dem Start nicht sonderlich gut, worüber er sich nicht mit einem Wort beschwert. Hinter der Fassade verbirgt sich jedoch ein gefühlvoller Mensch, der seine Frau auf der langen Reise vermissen wird und der viel Herzblut in seine Forschung steckt(e). Dass er Adams über dessen sehr schlechte Lage entgegen der Anordnung aufklärt, war menschlich, aber auch gefährlich. Er konnte nicht wissen, wie Adams reagieren würde – glücklicherweise nicht aggressiv. Das Angebot zum Selbstmord halte ich für ein schwieriges Thema. Einerseits kann ich es irgendwie nachvollziehen, was mich persönlich erschreckt, andererseits halte ich es für grausam. Aber genau hier steckt der moralische Gedanke des Films, was mit der bekannten Frage aus Star Trek umschrieben werden kann: Was wiegt schwerer – das Wohl eines Einzelnen oder das Wohl vieler? Auf diese Frage komme ich noch zurück.
Michael Adams
Dafür, dass er sich unversehens auf einer irreversiblen Mission im All wiederfindet und seine pflegebedürftige Schwester allein auf der Erde zurücklassen muss, reagiert er erstaunlich ruhig. Zwar ist er schockiert, als sich ihm der Ort, an dem er sich befindet, offenbart, aber er fügt sich relativ schnell dem Schicksal, nachdem Hyperion ihm versichern lässt, die Pflege seiner Schwester zu übernehmen. Adams ist ein freundlicher Mensch und kommt nach anfänglicher leichter Schüchternheit mit der Hyperion-Besatzung gut klar und freundet sich mit ihnen an. Ehrlicherweise hatte ich ihn zu Beginn kurz im Verdacht, alles selbst eingefädelt zu haben, um seiner Schwester ein besseres Leben zu ermöglichen. Der Gedanke verflüchtigte sich jedoch wieder. Als er erfährt, dass die Möglichkeit, ihn zu töten, in Betracht gezogen wird, reagiert er völlig geschockt und versinkt in Hoffnungslosigkeit.
Moral
Was ist schwerer – das Wohl vieler oder das eines Einzelnen? Die zweite Frage lautet: Ist eine wissenschaftliche Mission wichtiger als ein Menschenleben?
Beide Fragen werden nicht beantwortet, stoßen jedoch die Zuschauenden zum Nachdenken an. Es findet ein Opfer zum Wohl der Mehrheit statt. Levenson steigt nach dem Verlust des einen Sauerstofftanks erneut die Stahlseile hoch, in dem Wissen, in der harten Strahlung des Sonnensturms umzukommen. Sie übernimmt die Aufgabe freiwillig. Barnett kann aufgrund ihres gebrochenen Arms nicht klettern, Kim ist zu erschöpft und Adams ist nicht trainiert. Levenson ist die Einzige, die in Frage kommt. Es kommt zu einer hochemotionalen Szene, als sie in den Raumanzug steigt und hinausgeht, in der sogar die Kommandantin ihre kontrollierte Maske fallen lässt.
Aufgrund des Sonnensturms ist die einzige Möglichkeit zur Rettung der Preis eines Menschenlebens. Würde man warten, bis der Sturm vorüber ist, wäre der verbliebene Sauerstoff im Außentank längst verloren, da beim Abzapfen eine undichte Stelle aufgekommen ist. Ein Opfer ist unumgänglich und entweder wäre es Levenson, die wieder hinausgeht, oder Michael, der sich selbst töten oder getötet werden muss.
Das führt zur zweiten Frage, ob Forschung und Wissenschaft wichtiger sind als ein Menschenleben. Im Laufe der Zeit gaben viele Menschen ihr Leben für die Forschung, sei es wissentlich oder unwissentlich. Ist es wirklich wert, Leben weniger wichtig als den Fortschritt zu betrachten? Diese Gedanken sind gefährlich und man geht sprichwörtlich über Leichen, um Forschungsziele zu erreichen, was bislang immer lapidar als „Risiko“ abgetan wurde.
Antworten bietet der Film nicht, aber das ist auch nicht dessen Aufgabe. Er soll zum Nachdenken anregen und das tut er.
Fazit
Stowaway ist ein unglaublich guter Film für Fans der leiseren Töne. Gefühlvoll mit ausdrucksstarken Bildern und einer wunderbar passenden musikalischen Untermalung. Es ist definitiv kein Popcornkino zum Berieseln, sondern ein Film, der nachdenklich macht. Actionfans werden hier entweder nicht glücklich oder entdecken eine neue Seite.
Auch die fantastischen Bilder haben mich fasziniert: die gruselige, stille Schönheit des Sonnensturms und die dunkle Leere des Alls, die einen das Gefühl des Fallens gibt, die sich drehende Konstruktion, bei der einem schwindelig werden kann, wobei auch bei Nahaufnahmen auf eine stetige Drehung des Hintergrunds geachtet wurde. All das und mehr gefällt mir sehr gut.
Persönlich möchte noch bemerken, dass Sprache, Effekte und Musik hier ein gutes Zusammenspiel bieten und auch für mich als Hörgeschädigte, im Gegensatz zu vielen anderen Filmen, alles gut verständlich war.
Zuletzt ein Tipp: Nehmt den Abspann mit und genießt eine tolle akustische Atmosphäre.
Stowaway ist ab heute digital erhältlich. Ab dem 11. November 2021 gibt es den Film auch auf BluRay und DVD.
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