Zeitreisende versuchen, eine atomare Katastrophe zu verhindern.
Halb ernste Sci-Fi, halb Komödie
Kurz vor einer Reaktorkatastrophe taucht ein zerlumpter Mann aus dem Nichts auf und spricht zwei Mitarbeiter des vor der Kernschmelze stehenden Atomkraftwerks an. Sie sollen nicht den blauen Knopf drücken. Oder war es der gelbe Knopf? Die Bedienungsanleitung ist dummerweise auf Chinesisch, also holt der Zeitreisende einen Chinesen als Übersetzer. Der spricht aber nur Mandarin, die Anleitung ist auf Kantonesisch. Als dann noch zwei Zeitwächter auftauchen und den ersten Zeitreisenden vertreiben, geben sie den Kraftwerksangestellten absichtlich einen falschen Tipp, damit der Reaktor in die Luft fliegt.
Bereits der Einstieg zeigt, dass es sich um eine Komödie handelt und wenn Franzosen etwas gut können, dann Komödien. Man denke nur an Ziemlich beste Freunde oder die Filmreihe um Monsieur Claude und dessen Töchter. Französische Science-Fiction-Filme haben dagegen einen weitaus schlechteren Ruf. Titel wie Dante 01 und Eden Log sind einfach nur anstrengend, verstörend und schwer nachvollziehbar. Die Kombination beider Genres brachte bisher nur grauenhafte Flops wie den 2022 auf Netflix erschienenen Bigbug hervor, für den Alien 4-Regiesseur Jean-Pierre Jeunet verantwortlich zeichnet.
Visitor from the Future erschien im selben Jahr und erfreulicherweise ist es Francois Descraques gelungen, eine funktionierende Sci-Fi-Komödie abzuliefern, die nicht nur unterhaltsam ist, sondern auch nachdenklich stimmt. Dabei hatte der bekennende Trekkie gar nicht mal die Absicht, explizit die französische Atomlobby aufs Korn zu nehmen. Vielmehr sollte der Film, der auf einer Webserie basiert, generell das rücksichtslose Konsumverhalten auf Kosten der Zukunft thematisieren. Die Gefahr der Kernkraft bot sich lediglich am besten dazu an.
Klare Ökobotschaft
Nichtsdestotrotz ist die Botschaft ziemlich offensichtlich. Der Lokalpolitiker Gilbert Alibert (Arnaud Ducret) lässt sich von der Atomlobby kaufen und steht kurz davor, die Freigabe für den Bau des Risikokraftwerks zu unterzeichnen. Genau deshalb wird er zum nächsten Ziel des Zeitreisenden (Florent Dorin), der die Katastrophe selbst nicht abwenden konnte. Nun will er das Problem an der Wurzel packen. Er entführt Alibert und dessen Tochter Alice (Enya Baroux) kurzerhand in die Zukunft des Jahres 2555 und zeigt ihnen die Konsequenzen. Bei Alice rennt er damit offene Türen ein, denn die ist Anti-AKW-Aktivistin und versucht schon lange, ihren Vater von dessen Weg abzubringen.
Der argumentiert zunächst weiter, dass er seiner Tochter nur ein anständiges Leben finanzieren möchte, da ihr selbst jede berufliche Orientierung fehlt. Doch was ist das Versprechen von Wohlstand schon wert, wenn eine radioaktive Wolke alle 70 Jahre um den Globus fegt und dabei jedes Mal 50 % der Bevölkerung tötet. Obendrein mutieren einige Überlebende zu Zombies und der Rest lebt in erbärmlichen Zuständen ohne Hygiene. Der Zeitreisende und seine Freunde wollen sich mit dieser grässlichen Dystopie sowie dem nahenden Tod in Form der radioaktiven Wolke nicht abfinden und setzen alles daran, die Auslöschung der Menschheit zu verhindern.
Leider gibt es da noch die Zeitwächterbrigade, welche streng darüber wacht, die Zeitlinie vor jeglichen Veränderungen zu schützen. Wohlbemerkt, obwohl das zum sicheren Untergang der Menschheit führt. Das Gespräch, das Alice mit der Brigadechefin Constance (Lenie Cherino) führt, ist diesbezüglich äußerst interessant, da es doch sehr an die Argumentation sämtlicher konservativer Politiker und Konzernlobbyisten erinnert. Diese scheren sich einen Dreck um die Zukunft und kriminalisieren all jene, die versuchen, den Planeten zu retten.
Alice fragt völlig zu Recht: „Was ist kriminell daran, Katastrophen zu verhindern?“ Darauf Constance: „Am gefährlichsten sind Verrückte, die die Welt retten wollen.“ Irgendwie muss man da sofort an die Klimakleber der Letzten Generation denken, in denen einige Neoliberale gar Terroristen sehen. Dabei geht es aber gar nicht um vermeintliche Straftaten, wie Alice richtig erkennt, als sie sagt: „Im Grunde wollen Sie nur, dass sich nichts ändert, weil das gut für Sie ist.“ Damit trifft der Dialog direkt ins Schwarze.
Für den schnellen Profit wird die Zukunft geopfert. Dennoch meint die Brigadechefin: „Es könnte schlimmer kommen.“ Darauf antwortet Alice nur noch: „Schlimmer als der Weltuntergang?“ Allein für diesen Dialog dürfte der Film von Klimaaktivisten und Umweltschützern gefeiert werden. Er trifft genau den Nerv der Zeit und prangert den Lebensstil des total enthemmten Konsumkapitalismus an. Dass das Logo der Zeitwächterbrigade dabei dem alten Senderlogo von RTL II ähnelt, dürfte zwar Zufall sein, da es immerhin ein französischer Film ist, aber irgendwie passt es auch wieder.
Ein Ende voller Logiklöcher
Der einzige Schwachpunkt des Streifens sind die gravierenden physikalischen Widersprüche gegen Ende. Zunächst erklärt der Zeitreisende der Zeitwächterbrigade noch, dass er den Geschichtsverlauf bereits verändert habe, nur würde das niemand merken, abgesehen von denen, die die Veränderung auslösen. Bis dahin ist das noch logisch, denn wenn ein Zeitreisender die Vergangenheit ändert, würde er zwangsläufig in eine neue Zukunft zurückkehren, die auf alle anderen wirkt, als wäre schon immer alles so gewesen. So lautet das Konzept der alternativen Zeitlinien.
Während die Zeitwächterin Louise (Audrey Pirault) nach dieser Information die Seiten wechselt und dem Zeitreisen samt seinen Freunden bei der Flucht hilft, erpressen ihre loyalen Kollegen Gilbert Alibert, den Vertrag mit den AWK-Betreibern zu unterzeichnen. Die Anspielung auf die Rolle der Polizei ist wieder mal eindeutig herausgearbeitet, wobei immerhin beide Seiten der Medaille gezeigt werden. Die einen schützen rigoros die Interessen der Herrschenden, wohingegen die anderen nach ihrem Gewissen handeln. Damit greift der Film, wenn auch unbeabsichtigt, die Beamten vorweg, die sich inzwischen hinter die Proteste der Letzten Generation gestellt haben.
Alice geht unterdessen ihren eigenen Weg und nimmt sich selbst aus der Gleichung. Sie reist zurück zum Zeitpunkt ihrer Geburt, bei der ihre Mutter gestorben ist. Sie sorgt dafür, dass die Ärzte statt des ungeborenen Kindes die Mutter retten, womit sie ein Paradoxon erschafft. Und hier beginnen die physikalischen Ungereimtheiten.
In der Gegenwart verschwinden schlagartig Dinge, die mit dieser Veränderung teils überhaupt nichts zu tun haben, und am Ende wird der gesamte Zeitstrang durch einen Wirbel zerstört. Diese Effekthascherei hätte man sich bei dem schmalen Budget sparen können, denn das Ganze ergibt überhaupt keinen Sinn. Zumindest kann sich Alice’ Vater in der neuen Zeitlinie tatsächlich an nichts mehr erinnern, hat allerdings ein seltsames Gefühl und muss an seine bei der Geburt verstorbene Tochter denken. Auf dem neuen Zeitstrang lebt seine Frau noch, mit der er zwei neue Kinder hat. Da seine Frau eine Umweltaktivistin ist, hat er einen Vertrag über die Förderung regenerativer Energien unterzeichnet.
Ende gut, alles gut? Sollte man meinen. Sogar Alice existiert noch, was wiederum logisch ist, denn sie stammt ja aus einer alternativen Zeitlinie, in der sie ihre Geburt überlebt hat. Das Paradoxon ist damit gelöst. Unlogisch ist hingegen, dass die Zukunft des Jahres 2555 immer noch dystopisch aussieht. Die radioaktive Wolke ist zwar weg und ebenso die Zeitwächterbrigade, doch Paris ist aus unerfindlichen Gründen immer noch zerstört und die Menschen leben weiterhin unter katastrophalen Zuständen.
Fazit: Absolut empfehlenswert!
Es ist direkt schade, dass Visitor from the Future in Deutschland nicht in den Kinos lief. Französische Komödien sind dort längst ein Publikumsmagnet und diese Sci-Fi-Komödie hätte wahrscheinlich eine Chance verdient. Der Film hat sowohl Witz und Charme als auch Herz und Verstand. Das Setting erinnert zuweilen etwas an Mad Max und die Effekte können sich trotz knappem Budget sehen lassen.
Einzig das Ende hätte man anders lösen können. Das immer noch zerstörte Paris des Jahres 2555 bremst den Optimismus, den der vorherige Sieg über die Zeitwächterbrigade auslöst. Auf die positive Botschaft, dass Menschen sich ändern können, folgt eine Zukunft, die sich nur geringfügig geändert hat. Trotz einiger Logiklöcher gegen Ende funktioniert der Streifen insgesamt aber sehr gut. Er macht auf jeden Fall Spaß und regt obendrein zum Nachdenken an.
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