Jaime Reyes wird eher widerwillig zum Superhelden und stellt damit die Verhältnisse auf den Kopf.
Ein Latino als DC-Superheld
Jaime Reyes (Xolo Maridueña) arbeitet mit seiner Schwester Milagro (Belissa Escobedo) in der Villa der superreichen Unternehmerin Victoria Kord (Susan Sarandon). Die beiden sind für die Drecksarbeit zuständig und werden von ihrer Auftraggeberin nicht wahrgenommen. Zumindest bis Milagro unerlaubt deren Toilette benutzt und ihr Bruder Schmiere stehen muss. Die beiden werden fristlos gefeuert, sehr zum Ärgernis von Jaime, der den Job brauchte, um nach seinem College-Abschluss seine Familie zu unterstützen.
Bereits in den ersten Szenen wird die chancenungleiche Klassengesellschaft der USA, in der die Latinos den Bodensatz bilden, hart angeprangert. Die Familie Reyes wird gnadenlos ausgebeutet und hat kaum Zugang zu höherer Bildung, die Grundvoraussetzung für besser bezahlte Jobs wäre. Sie leben in einem heruntergekommenen Arbeiterviertel, das jederzeit der zunehmenden Gentrifizierung zum Opfer fallen könnte. Wobei der Familie ohnehin eine Zwangsräumung droht, da sie finanzielle Probleme haben. In den glänzenden Stadtbezirken der reichen weißen Oberschicht werden sie nur als billige Arbeitskräfte geduldet.
Einzig Jenny Kord (Bruna Marquezine) hebt sich von den arroganten Superreichen ab. Ihr gefällt nicht, dass ihre Tante Victoria aus der Firma ihres verstorben geglaubten Vaters einen Rüstungskonzern gemacht hat. Als sie mitbekommt, wie Jaime gefeuert wird, verspricht sie ihm, sich dafür einzusetzen, dass er eine Stelle bei Kord bekommt. Er folgt ihrer Einladung, doch ausgerechnet an dem Tag stiehlt Jenny ein antikes Artefakt, welches als Basis für eine neue Generation von Superkampfanzügen dient.
Statt einem Vorstellungsgespräch bekommt Jaime von Jenny nur eine Burgerverpackung in die Hand gedrückt, mit der strikten Anweisung, diese nicht zu öffnen. Während das Gebäude aufgrund des Diebstahls abgeriegelt wird, kehrt Jaime nichtsahnend nach Hause zurück, wo seine Familie natürlich in die mitgebrachte Box reinschaut. Dort finden sie einen biomechanischen blauen Skarabäus vor, der Jaime anspringt und mit ihm verschmilzt. Es bildet sich ein gepanzerter Anzug um ihn, mit dem er erst einmal in den Weltraum abhebt und anschließend die Stadt unsicher macht.
Der Junge kann den Skarabäus noch nicht kontrollieren, viel mehr kontrolliert der antike Hightechanzug ihn. Nachdem sich das Artefakt auf ihn eingestellt hat, fängt es an, mit ihm zu kommunizieren. Er wurde vom Skarabäus ausgewählt, da er mit der Technik kompatibel ist, doch seelisch ist er überhaupt nicht darauf vorbereitet. Jaime wird zum Superhelden wider Willen und vergeigt fast seine erste Mission, zusammen mit Jenny einen Schlüssel aus dem Kord-Gebäude zu entwenden, den sie braucht, um sich Zutritt zu einer Geheimanlage auf dem Anwesen ihres Vaters zu verschaffen.
Der Firmengründer war der ursprüngliche Blue Beetle, was den Bogen zur Comicvorlage spannt, in der sowohl Dan Garrett als auch Ted Kord gebürtige US-Amerikaner sind. Letzterer hat das Artefakt im Comic wie auch in der Filmadaption für gute Zwecke genutzt, ähnlich wie Bruce Wayne seine Erfindungen als Batman nutzt. Gemeinsam mit Jaimes Familie wollen seine Tochter und ihr Freund die Pläne von Victoria Kord vereiteln und ihr Rüstungsprojekt OMAC aufhalten.
Mehr Gesellschaftskritik geht nicht!
Kaum ein anderer Superheldenfilm demaskiert den amerikanischen Traum derart rigoros wie Blue Beetle. Es geht um ungleiche Bildungschancen, Ausbeutung von Migranten, Gentrifizierung und die Unterdrückung der südlichen Hemisphäre. Victoria Kord will mit ihrer Rüstungssparte nicht nur fett Kohle machen. Sie gibt offen zu, dass sie mit ihrem neusten Projekt die Ressourcen anderer Länder für die USA sichern und jeden Widerstand blutig niederschlagen will. Beispiele aus der Realität gibt es dafür genug, erinnert sei hier nur an den Sturz Salvador Alléndes in Chile oder die CIA-Intervention in Guatemala, wo die United Fruit Company etwas gegen die Landreform der dortigen Regierung hatte.
Letzteres spielt für den Film sogar eine direkte Rolle, denn Victoria Kords Mitarbeiter fürs Grobe stammt aus Guatemala. Ignacio Carapax (Raoul Max Trujillo) wurde rekrutiert, um Lateinamerika unter US-Kontrolle zu halten. Seine Ausbildung hat er auf der School of the Americas erhalten, die es tatsächlich gibt. Heute unter der Bezeichnung The Western Hemisphere Institute for Security Cooperation war und ist diese Institution eine militärische Kaderschmiede, die mit zahlreichen schmutzigen Kriegen US-gestützter Militärdiktaturen Südamerikas in Verbindung steht. Zu den bekanntesten Absolventen gehören Augusto Pinochet und Manuel Noriega.
Es ist äußerst ungewöhnlich, dass die Schools of the Americas namentlich in einem Hollywoodfilm erwähnt wird und dies in eindeutig negativem Kontext. Eine solche Darstellung dürfte insbesondere den Republikanern ziemlich stinken. Aber ein Latino-Superheld richtet sich ohnehin nicht gerade an ein rechtes Publikum. Was Blue Beetle hier leistet, ist einerseits mutig, andererseits fast schon wagemutig. Der Film ist dermaßen politisiert, dass er schon mehr eine selbstkritische Geschichtsstunde als ein Action-Abenteuer ist.
Das Ganze wird dann noch auf die Spitze getrieben, als Jenny Kord zusammen mit der Reyes-Familie eine geheime Rüstungsfabrik auf einer Insel vor Kuba auseinandernimmt. Diese hat man einst dem faschistischen Diktator Batista abgekauft und irgendwie drängt sich einem hier Guantanamo Bay auf. Das Statement für Abrüstung ist ebenfalls nicht gerade unterschwellig und bei der Aktion entpuppt sich Jaimes Oma als alte Zapatista, die wenig subtil die Parole „Nieder mit den Imperialisten!“ ausruft.
Ignacio Carapax, der durch die Technologie des blauen Skarabäus zur Kampfmaschine OMAC mutiert ist, darf am Ende noch die Seiten wechseln, als er sich erinnert, dass in Guatemala auch seine Familie ermordet wurde und er einer Gehirnwäsche unterzogen worden ist. Zumindest ist er damit kein eindimensionaler Bösewicht mehr. Victoria Kord, die am Ende ihre gerechte Karmastrafe erhält, dagegen schon.
Nachdem das OMAC-Projekt in Trümmern liegt und die böse Tante beseitigt ist, wandelt Jenny Kord das Unternehmen um und schließt die Rüstungssparte. Damit ist sie die weibliche Tony Stark des DC-Universums. Allerdings fällt es schwer zu glauben, dass ein Wechsel in der Unternehmensspitze einfach so vom militärisch-industriellen Komplex oder der US-Regierung toleriert werden würde. Wahrscheinlicher wäre, dass man Jenny Kord mit einer Aktienmehrheit ausbooten oder im Zweifelsfall kurzerhand ausschalten würde.
Abseits der Politik
Es fällt wirklich schwer, eine unpolitische Rezension zu Blue Beetle zu schreiben, da dieser Film schlichtweg überpolitisiert ist. Sogar das Internet-Meme „Batman ist ein Faschist“ wird aufgegriffen. Das mag vielleicht einigen gefallen und wird gewiss manche zum Nachdenken bringen, aber die breite Mehrheit wird wohl eher unterhaltsames Popcornkino erwarten. Was hat Blue Beetle also den durchschnittlichen DC-Fans zu bieten?
Zunächst einmal sind die guten Charaktere alle sympathisch dargestellt und haben ihre Momente. Die Familie Reyes ist mehr als nur Beiwerk, sondern spielt bei der Entscheidungsschlacht eine ebenso große Rolle wie der Titelheld. Niemand kommt zu kurz, was bei einem solch breit aufgestellten Cast keine Selbstverständlichkeit ist.
Humor gibt es ebenfalls jede Menge, insbesondere in der Szene, in der sich Jaime zum ersten Mal in den Blue Beetle verwandelt. Die Effekte können sich dabei auch sehen lassen und der Blick vom Orbit auf die Erde ist einfach fantastisch. Die Action stimmt ebenfalls, also was will man mehr?
Fazit: Trotz politischer Lehrstunde sehenswert!
Manche würden den Film vielleicht sogar gerade wegen seiner imperialismuskritischen Statements für sehenswert halten. Aber das muss jeder selbst entscheiden und soll hier bei der Bewertung keine Rolle spielen. Schon in Black Adam wurde die US-Außenpolitik gegenüber dem Nahen Osten kritisiert, doch krankte der Film an ganz anderen Dingen. Insbesondere an Black Adams Gegner, der wie der Leibhaftige aus der Hölle daher kam. Diesbezüglich ist Blue Beetle weitaus bodenständiger.
Unter den diesjährigen DC-Filmen ist der blaue Käfer mit Abstand der Beste. Shazam! Fury of the Gods und The Flash waren zwar ganz unterhaltsam, aber bei Weitem nicht so frisch und innovativ wie Blue Beetle. Das mag daran liegen, dass das Publikum nach vier Thor-Filmen mit außerweltlichen Gottheiten übersättigt ist und insbesondere The Flash der offenkundige Versuch war, Marvels Spider-Man: No Way Home sowie das Multiverse of Madness nachzuahmen, nur mit weitaus unglaubwürdigeren Effekten.
Blue Beetle hebt sich auf angenehme Weise davon ab, wobei Jaime Reyes weder als Held geboren noch durch irgendeine Mutation in einen verwandelt wurde oder den Mangel an Superkräften durch den eigenen Erfindungsgeist wett macht. Er wurde zufällig ausgesucht und muss sich erst noch in seine neue Rolle hineinfinden. Seine wahre Superkraft ist schlussendlich seine Familie, die im Kampf gegen das Böse den Vater einbüßt. Jennys Vater scheint dagegen am Ende nicht ganz so tot wie geglaubt, was sich als Steilvorlage für eine Fortsetzung anbietet. Ob es einen zweiten Teil geben wird, hängt allerdings nicht nur vom Erfolg des Erstlings ab, sondern auch davon, wie das neue DCU aufgestellt wird.
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