Was wäre, wenn die uns bekannten Marvel-Superhelden schon im Zeitalter der Inquisition die Weltbühne betreten hätten?

1602Die Handlung

Es ist das Jahr 1602. Auf dem englischen Thron sitzt die alternde Elizabeth I., die mit Sorge auf den nahenden Weltuntergang blickt. Dieser kündigt sich in Form von ungewöhnlichen Wetterphänomenen an, die sich wie ein düsteres Omen über die ganze Welt ausbreiten. Um die Zeichen zu deuten, steht ihr der Magier Doktor Stephen Strange zur Seite. Ihren Geheimdienst leitet derweil kein geringerer als Nicholas Fury, welcher den Waisenjungen Peter Parquagh unter seine Fittiche genommen hat.

Die Hoffnung, das Ende der Welt noch abwenden zu können, liegt in einem alten Artefakt, welches als Templerschatz in Jerusalem geborgen wurde. Damit dieses machtvolle Objekt sicher nach England gelangt, entsendet Fury den blinden Matthew Devil, der jedoch alles andere als hilflos ist. Unterwegs bekommt er Unterstützung von Natasha, die ihn und den alten Templer jedoch an Graf Otto von Doom ausliefert.

Von Doom ist es auch, der Attentate auf das britische Empire verüben lässt, während Königin Elizabeth I. gerade Virginia aus der amerikanischen Kolonie Roanoke empfängt. Das platinblonde Mädchen birgt ein Geheimnis, denn esist eine Gestaltwandlerin. Ihr hellhäutiger indianischer Begleiter Rojhaz, der die Kolonie gerettet hat, fällt ebenfalls durch besondere Stärke auf.

In England können Magier und Mutanten zwar noch relativ unbehelligt leben, wie die private Schule des Professors Javier zeigt, in der altertümliche Versionen von Beast, Cyclops, Iceman sowie John Grey Unterschlupf finden. In Spanien macht jedoch der Großinquisitor Jagd auf alle Mutanten. Angel kann in letzter Sekunde von Javiers Schülern vor dem Scheiterhaufen gerettet werden, wobei es schon ziemlich entlarvend ist, dass die katholische Kirche ausgerechnet einen Engel hinrichten will.

Der Großinquisitor verschleiert mit seiner aggressiven Art obendrein nur, dass er selbst magnetische Superkräfte besitzt. Ebenso schützt er seine beiden Kinder Wanda und Petros. Letzteren setzt er wegen dessen Schnelligkeit als Boten ein, um den schottischen König James zu unterstützen. James verdankt es schlussendlich aber einem weiteren Anschlag Graf von Dooms auf die Königin, dass er den britischen Thron besteigen kann.

Sofort macht der neue König Jagd auf alle Mutanten und lässt Stephen Strange köpfen, nachdem dieser Kontakt zu einer höheren Beobachterintelligenz hergestellt hat. Stranges Ehefrau gelingt es, den Kopf zu entwenden und mit ihm zu kommunizieren. Von ihm erfährt sie, dass ein Zeitreisender einen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum verursacht hat, der nicht nur diese Welt zu zerstören droht. Um den Weltuntergang aufzuhalten, braucht sie nur noch etwas Hilfe.

In der Zwischenzeit sind Javier und seine Schüler zusammen mit Nicholas Fury aus England geflohen und haben die ehemalige Crew des Segelschiffes Fantastick aus den Fängen von Graf Doom befreit. Dieser hat Richard Reed und dessen drei Gefährten jahrelang im Keller seiner Burg eingekerkert. Außerdem glaubt er sich im Besitz des Templerschatzes, einer mysteriösen goldenen Kugel. Doch wie sich bald herausstellt, ist der wahre Schatz ein unscheinbarer Holzstab. Nachdem der alte Templer mit Hilfe von Matthew beim Angriff von Javiers Mutanten auf Latveria fliehen konnte, beschwört er mit diesem Stab den Gott Thor herauf.

Gemeinsam mit ihrem neuen Verbündeten aus Asgard reisen die X-Men und Fantastic Four nach Amerika, um das Ende der Welt aufzuhalten. Dort angekommen treffen sie auf Virginia und Rojhaz, die ebenfalls aus London fliehen konnten. Wie sich nun herausstellt, ist Rojhaz nicht der, der er zu sein scheint. Durch sein Auftauchen ist das Erscheinen der Superhelden um mehr als 300 Jahre vordatiert worden. Um den Weltuntergang abzuwenden, muss er in seine eigene Zeit zurückkehren. Unerwartete Hilfe beim Öffnen des Raumzeitrisses bekommen die Superhelden vom ehemaligen Großinquisitor, der schlussendlich sogar seine Kinder Javier anvertraut.

Rezension von Marvel – 1602

Mit dieser Graphic Novel ist Marvel ein weiterer Meilenstein der Comicgeschichte geglückt. Zunächst gab es zwar Vorbehalte gegen die Idee, die bekannten Superhelden in eine andere Zeit zu versetzen, doch diese haben sich als gänzlich unbegründet erwiesen. 1602 wurde sogar so erfolgreich, dass die Reihe einige Fortsetzungen bekam, in denen u.a. Iron Lord auftaucht.

Es macht wirklich Spaß, die vertrauten Charaktere in einer Neuinterpretation zu sehen. Doktor Strange ähnelt stark dem Alchemisten John Dee, was durchaus so beabsichtigt ist. Da es noch keine USA gibt, ist Captain America ein amerikanischer Ureinwohner. Nick Fury leitet den königlichen Geheimdienst, von Doom ist ein Graf und Magneto der spanische Großinquisitor. Auf solche Ideen muss man erst einmal kommen. Dabei steht das Ganze nicht einmal im Widerspruch zu den bisherigen Marvel-Comics, sondern bildet eine Art Paralleluniversum.

In diesem wird das Thema Intoleranz auf die Spitze getrieben, denn wenn Mutanten schon in unserer Zeit mit Rassismus konfrontiert sind, so werden sie 1602 von der Inquisition mit Feuer und Schwert bekämpft. Angel sieht sich dabei nicht nur mit dem Scheiterhaufen konfrontiert. Scottius Summerisle bedroht ihn ebenfalls, weil dieser glaubt, dass er ihm seine als Mann getarnte Freundin Grey ausspannen will. Dabei durchschaut Angel die Maskerade zwar nicht, ist aber tatsächlich in den vermeintlichen John Grey verliebt. Wenn man Angel in dieser finsteren Zeit nicht ohnehin schon wegen seiner Flügel verfolgen würde, dann wegen seiner Homosexualität. Es ist erfreulich, dass Marvel diesen Punkt hat durchgehen lassen.

Für etwas leichte Unterhaltung am Rande dieser eher düsteren Erzählung ist ebenfalls gesorgt. So gerät es schon zum Running Gag, dass Peter Parquagh immer wieder fast von Spinnen gebissen und im letzten Moment davor bewahrt wird. Erst auf der letzten Seite wird er dann doch noch zu Spider Man. Der zuweilen altertümliche Sprachstil zieht sich ebenfalls durch den gesamten Comic.

Etwas makaber ist dagegen der zynische Kommentar von Frau Strange, dass sie den abgetrennten Kopf ihres Mannes für die Fahrt über den Atlantik lieber in Brandy eingelegt hat, statt ihn zu pökeln. Ein Seemann, der vom Brandy gekostet hat, habe dabei seinen Verstand verloren. Wer den nötigen schwarzen Humor besitzt, kann sicherlich auch darüber lachen. Stranges Kopf kann sich tatsächlich noch telepathisch verständigen und da er nunmehr tot ist, entbindet ihn das von seinem Versprechen gegenüber dem Beobachter, zu seinen Lebzeiten kein Wort über dessen Existenz und die Natur des Universums zu verlieren. Solcherlei Plot-Twists sind schon eine Sache für sich.

Der Zeichenstil entspricht dem von Wolverine Origin, denn Andy Kubert hat wieder auf Tusche verzichtet. Teilweise mangelt es dadurch vor allem im Hintergrund an Detailreichtum, aber der Stil ist dennoch gelungen und unverkennbar. Optisch aufgewertet werden die Zeichnungen durch eine sehr stimmungsvolle Koloration. Die Farbkombinationen sind äußerst angenehm fürs Auge und sorgen stets für die passende Atmosphäre.

Geradezu genial sind die Cover-Artworks von Scott McKowen, die in der aufwendigen Schabblatt-Technik entstanden sind. Dazu wird weiße Porzellanerde mit schwarzer Tinte überzogen und das Bild mit einem Gravierwerkzeug hinein geritzt. Die mit Photoshop eingefärbten Resultate sind einfach atemberaubend und spiegeln sehr gut die altertümliche Epoche wider, in welcher die Graphic Novel angesiedelt ist.

Fazit

Einmal mehr hat Marvel einen Comic vorgelegt, der mit den üblichen Konventionen bricht und dadurch zu etwas Besonderem wird. Wer auf Außergewöhnliches steht, sollte sich diesen Band nicht entgehen lassen! Erschienen ist 1602 u.a. als hochwertige Hardcover-Ausgabe mit der Nr. 26 in der Marvel-Comic-Sammlung.

Info

Autor: Neil Gaiman
Zeichner: Andy Kubert
Farben: Richard Isanove
Verlag: Marvel / Panini
Sonstige Informationen: Produktseite

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