In Shin Godzilla kehrte die Riesenkreatur in ihr Ursprungsland zurück.

Ein schlauer Deal

Es ist 2016 und zwei Jahre vorher feierte Godzilla mit seinem gleichlautenden Film seine Rückkehr nach langer Pause. Allerdings war es dieses Mal keine japanische, sondern eine amerikanische Produktion. Das tat dem Erfolg des Filmabenteuers aber keinen Abbruch.

Tatsächlich spielte er so viel in den Kinokassen ein, dass er auf lange Sicht nicht nur eine Fortsetzung aus den USA garantierte, sondern ebenso dafür sorgte, dass die gigantische Riesenechse auch in ihrem Heimatland eine Wiedergeburt feierte. Was ungewöhnlich war, da man als durchschnittlicher Zuschauer davon ausging, dass der Lizenzdeal von Toho und Legendary Pictures Letzteren garantierte, dass für die Dauer des Vertrags alle Filme ausschließlich von ihnen stammen würden.

Doch das legendäre japanische Produktionsstudio war nicht auf den Kopf gefallen und hatte eine besondere Klausel in den Vertrag eingebaut. Die besagte, dass sie immer noch eine einheimische Version von Godzilla produzieren durften, so lange diese nicht Teil des Filmuniversums von Legendary werden würde. Was die Japaner sowieso nicht vorhatten.

Ehrlichkeit führt am weitesten

Von Anfang schwebte dem Studio dabei ein bestimmtes Duo vor, das sich um den Film kümmern sollte. Man wandte sich an das Duo Hideaki Anno und Shinji Higuchi, die beide bereits bei dem berühmten Anime Neon Genesis Evangelion zusammengearbeitet hatten. Sie sollten Regie führen, wobei Anno sich um das Drehbuch kümmern sollte und Higuchi um die Special Effects. Das Projekt, an dem sie arbeiten sollten, sollte 2016 in die Kinos kommen und auf den Namen Shin Godzilla hören.

Doch gab es gewisse Startschwierigkeiten. Das Problem war, dass Hideaki Anno 2013, als Toho an ihn herantrat, depressiv geworden war, nachdem er zuvor Evangelion: 3.0 You Can (Not) Redo fertigproduziert hatte. Es sollten die Ehrlichkeit von Toho und die Unterstützung seines langjährigen Freundes und Mitarbeiter Shinji Higuchi sein, die ihn dazu bewogen, doch noch das Angebot anzunehmen und die Arbeit am Film zu beginnen.

Als Inspiration für das Drehbuch von Shin Godzilla diente Hideaki Anno die Dreifachkatastrophe von 2011. Gemeint ist das Tōhoku-Erdbeben, welches einen Tsunami auslöste und für die Nuklearkatastrophe von Fukushima sorgte. Ereignisse, die seine Heimat deutlich prägten.

Eine bizarre Kreatur

Interessanterweise war dies übrigens das erste Mal, dass Godzilla in einem japanischen Film komplett am Computer erstellt worden war. Es wurden zwar verschiedene andere Arten ausprobiert, die Riesenechse zum Leben zu erwecken, doch am Ende entschied man sich für die, so Anno, Cutting-Edge-Technologie. Als Motion-Capture-Darsteller für Godzilla arbeitete Mansai Nomura.

Der Maincast von Shin Godzilla setzte sich aus vier Schauspielern zusammen. Hiroki Hasegawa übernahm den Part von Rando Yaguchi, dem stellvertretenden Chef des Kabinettministeriums. Als Toho ihm die Rolle anbot, sagte er sofort zu. Yutaka Takenouchi übernahm die Rolle des Hideki Akasaka, den Helfer des japanischen Premierministers. Satomi Ishihara wurde zur Sonderabgesandten des US Präsidenten, Kayoco Anne Patterson. Sie hatte ihre Probleme mit den englischsprachigen Dialogen ihrer Figur. Und Mikako Ichikawa wurde zu der Wissenschaftlerin Hiromi Ogashira. Es gab auch, wie es bei Godzilla Tradition ist, zwei Darsteller aus früheren Teilen. Jun Kunimura trat bereits in Godzilla: Final Wars auf, derweil Akira Emoto in Godzilla vs. Spacegodzilla erste Kaiju-Erfahrungen sammeln konnte.

Gegen jegliche Norm

Eines Tages wird in der Bucht von Tokyo ein leeres Boot entdeckt. Als eine Gruppe der japanischen Küstenwache es untersucht, wird es durch eine gigantische Wasserexplosion erschüttert, die den unterirdischen Tokyo Bay Aqua-Line unter Wasser setzt. Schnell findet Rando Yaguchi heraus, dass dahinter eine fremde Lebensform steckt, die zunächst in einer Art Wurmform ans Land kommt, sich dann aber in eine zweibeinige Form weiterentwickelt. Es überhitzt sich jedoch und geht, nachdem es jede Menge Schaden angerichtet hat, wieder ins Wasser zurück.

Yaguchi hat derweil eine Gruppe von Wissenschaftlern um sich versammelt, die alle auf die eine oder andere Art gegen die gesellschaftlichen Regeln verstoßen hatten. Doch erst mit Hilfe der Japano-Amerikanerin Kayoco Anne Patterson finden sie endgültig heraus, womit sie es zu tun haben. Mit einem Wesen, dass die Amerikaner Godzilla nennen und die Japaner Gojira. Ein Wesen, das sich anpasst und weiterentwickelt. Und das wieder aufs japanische Festland zusteuert, um dort weiter jede Menge Chaos und Zerstörung zu verursachen.

Shin Godzilla bricht mit jeder Norm, die der japanische Godzilla bislang hatte. Zum ersten Mal seit Godzilla (1954) und Godzilla: Die Rückkehr des Monsters steht allein die Titelkreatur im Zentrum der Ereignisse. Und zum ersten Mal seit Anbeginn der Filmabenteuer steht die Handlung komplett für sich. Das, was vorher geschehen ist, existiert nicht, Godzilla taucht in dieser Story zum ersten Mal auf.

Und das tut dem Film merklich gut. Denn dadurch konnten sich die Macher vollständig darauf fokussieren, ihre eigene Version der Riesenkreatur zu erschaffen. Eine, die völlig bizarr wirkt und über Kräfte verfügt, die all ihre Vorgänger in den Schatten stellt. Ein Wesen, das Energiestrahlen nicht nur aus dem Mund abfeuern kann, sondern ebenso von ihren Stacheln. Was es besonders gefährlich macht.

Wenn Bürokratie lähmt

Auch die Erscheinungsform von Godzilla unterscheidet sich in Shin Godzilla erheblich von der seiner Vorgänger. Die Wurmform wirkt zunächst bizarr, erzeugt allerdings auch einen enormen Grusel, der durch die deutlich unfertig aussehende zweibeinige Form noch verstärkt wird. Und die finale Form wirkt wie aus einem Alptraum entsprungen. Es ist der größte Godzilla, der jemals in der Serie präsentiert wurde, und der durch den roten Schimmer seiner Haut so aussieht, als ob in seinem Inneren eine gefährliche Kraft wohnt, die jeden Moment darauf wartet, auszubrechen.

Es ist klar, dass die Menschen gegenüber diesem Ungeheuer im Hintertreffen sind. Hinzu kommt dann auch noch, dass gezeigt wird, wie das Land durch gesellschaftliche Normen und bürokratische Abläufe wie gelähmt ist. Dass die Sorge zunächst der Wirtschaft gilt und erst anschließend den Menschen in Not. Und junge Leute haben nur dann etwas zu sagen, wenn sie dazu aufgefordert werden, und nicht, wenn es sinnvoll ist.

Schon fast bissig wird dies in Shin Godzilla dargestellt. Die alten Männer, die vom Lauf der Ereignisse schier überwältigt sind und lieber auf ihre diversen Berater hören, als selber eine Entscheidung zu treffen. Die unüberschaubaren bürokratischen Verstrickungen, wo nichts geschieht, ohne dass Rücksicht auf eine andere Behörde genommen wurde. Oder wo es jede Menge Gesetze und Erlasse gibt, die scheinbar wuchern. Die Anspielungen auf die Dreifachkatstrophe und wie die Behörden damals gehandelt haben, sind dabei für Kenner deutlich zu erkennen.

Ein kluger Anführer

Die Helden in diesem Film sind die Non-Konformisten. Die wissenschaftliche Truppe, die Yaguchi versammelt, die aus, wie er es formuliert, Egoisten, Nein-Sagern und Gegen-den-Strom-Schwimmern bestehen. Wie auch die Figur von Mikako Ichikawa, Hiromi Ogashira. Sie ist jemand, die ihre Meinung sagt, egal ob sie damit andere verletzt oder nicht.

Man merkt in Shin Godzilla, wie hier eine Gruppe von teilweise Exzentrikern zusammengeführt wird, die aber alle an einem Strang ziehen, nicht zuletzt dank der klugen Führung von Yaguchi. Der wirklich alle Hebel in Bewegung setzt, um seine Leute mit Informationen zu versorgen. Der – unerlaubterweise – heimlich mit einem bekannten Reporter spricht. Und der sich perfekt mit Kayoco Anne Patterson versteht. Hiroki Hasegawa spielt ihn als einen Vermittler zwischen den Welten, zwischen der der Bürokratie und politischen Abhängigkeiten und der der geradeaus agierenden Wissenschaftlern.

Kayoco Anne Patterson ist in diesem Film ein frischer Wind. Schon allein der Moment, in dem sie fragt, ob man nicht auf die japanische Höflichkeit verzichten könne und zur englischen Direktheit wechseln könne, ist genial. Oder als sie erzählt, dass sie direkt von einer Party nach Japan geflogen ist und noch keine Zeit hatte, sich umzuziehen, nur um dann direkt nach einem Luxusladen zu fragen. Hier hat man wirklich einen Charakter, die selbstbewusst, schön und intelligent ist. Die perfekte Ergänzung fürs Team von Yaguchi.

Was für eine Präsenz!

Der Film entwickelt sich spannend, vor allem auch deshalb, weil Godzilla die Handlung bestimmt. Selbst dann, wenn er nicht physikalisch präsent ist, was vor allem im Mittelteil von Shin Godzilla der Fall ist, macht sich seine Präsenz im Plot bemerkbar. Alles geht von ihm aus, alles dreht sich um ihn, das Monstrum, die Naturgewalt.

Die dann am Ende zwar von den Japanern besiegt wird. Wo aber im Hintergrund auch andere Nationen mithelfen, um die Chancen auf den Sieg der Japaner zu erhöhen. Somit wird Kooperation statt Alleingänge hervorgehoben.

Am Ende von Shin Godzilla liegt Japan in Trümmern und eine neue, junge Generation übernimmt die politische Verantwortung. Doch gleichzeitig sieht man in der letzten Szene eine weitere Weiterentwicklung von Godzilla. Die zu der bizarren vorherigen Evolution des Wesens wunderbar passt.

Ein Erfolg, von dem jeder profitiert

Der Film war in Japan ein voller Erfolg. Doch ein direktes Sequel sollte es nicht geben. Hier machte der Vertrag mit Legendary Pictures einen Strich durch die Rechnung, der einen Release eines japanischen Godzilla im selben Jahr wie eines amerikanischen untersagte. Und da die amerikanischen Filme sich auf Grund einer gewissen Pandemie verzögerten, wurde erst vor Kurzem ein neuer Godzilla-Film mit dem Namen Godzilla Minus One angekündigt, der allerdings keine direkte Fortsetzung von Shin Godzilla sein sollte.

Realverfilmungen waren also nicht drin, weshalb Toho in den kommenden Jahren einige Animationsfilme drehte und herausbrachte. Und Hideaki Anno? Wurde Teil eines Vertrags zwischen Toho, Khara, Toei Company und Tsuburaya Productions, die ein Shin Japan Heroes Universe ankündigten. In diesem war nicht nur Shin Godzilla vertreten, sondern ebenso die weiteren Shin-Filme, die Anno in den folgenden Jahren drehte, Shin Ultraman und Shin Kamen Rider. Sowie der offiziell letzte Evangelion-Film Evangelion: 3.0+1.0 Thrice Upon a Time.

Shin Godzilla war auf eine wohltuende Weise anders. Eine großartige Abwechslung von der üblichen Godzilla-Norm und ein grandioser Film.

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Götz Piesbergen

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