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Menschen suchen die Zerozone – im Schauspiel der Guunpai verwischen Wahn und Wirklichkeit.

Die Fäden, die die Welt bedeuten
© Pabel-Moewig Verlag KG

Titel: Die Fäden, die die Welt bedeuten
Autor: Kai Hirdt
Titelbild: Dirk Schulz
Erschienen: 17.01.2020

Zur Handlung

Perry Rhodan entsendet auf den Planeten Khaiguna im Siuvarsystem einen von Donn Yaradua „angeführten“ Trupp mit den Index-Bewahrern, Farye und Iwán/Iwa, die den Zugang zur Zerozone entdecken sollen. Sie werden tief in das theatrale Fädenspiel der ansässigen Guunpai verstrickt und lernen skurril verschauspielte Angehörige des spinnenhaften Volkes kennen.

Inmitten der Etruuten, der Schauspiele der Guunpai verbirgt sich historisches Wissen und in vom Schauspielmeister seiner Zeit aufgeführten „Padfuurs Fall“ der psi-illusorisch entscheidende Hinweis auf den Zugang zur Zerozone: durch Geburtsrecht erwirkt Iwán/iwa so Einlass in eine gestaltlos-graue Welt und zur „Rohmasse einer Schöpfung, die erst noch stattfinden musste.“

Die Drei Ultimaten Beobachtungen

1. Theatralik am seidenen Faden

Was ein famoses Völkchen! Auch wenn es Yaradua bei der Vorstellung an „Spinnen mit Händen“ spinnenphobisch schüttelt, finde ich die Guunpai großartig in Szene gesetzt. Auch wenn wir sie wortwörtlich nur auf der Vorderbühne des Schauspielerns kennenlernen und neben noch aktiven und unruheständigen Guunpai nur noch die „Netzwächter“ antreffen. Wichtiges auf der Hinterbühne wie Landwirtschaft bleibt unerwähnt. Es beginnt gleich in Kapitel 2, wo die guunpaische Hauptperson Ebdowakrot die himmelragenden Säulen des Malmewa-Bergkamms nicht geologisch, sondern erzählerisch mit einer Geschichte deutet: „Die Zahnstocher des Riesen Temmerwell“, der am Ende an Vegetarismus stirbt. Völlig skurril, aber dramaturgisch.

Das permanente Schauspielen reicht den Guunpai auch weit voraus, an Bord der RAS TSCHUBAI kann man bis zu sechs Fernsehprogramme mit Aufführungen als „zweidimensionale Schwarz-Weiß-Übertragungen“ (Etruuten) gleichzeitig im Weltall empfangen: „Die Guunpai haben also die kulturelle Stufe erklommen, auf der sie ihr Fernsehprogramm mit Wiederholungen auffüllen.“ Mein Beileid! Der Untergang des Guunpailandes hat begonnen… Rhodan lakonisch: „Es scheint eine neue Idee zu sein, etwas anderes als Schauspiele zu übertragen.“ Das macht schließlich auch nur schlechte Laune.

Von den seidengesponnenen „Metronetzen“ als Städte der Guunpai bekommen wir ein paar Eindrücke, die ich nur zu gern vertieft hätte, wie sie anscheinend stetig neu- und umgefädelt werden. Dafür eilt die Handlung dann aber zu sehr weiter. Umso schillernder dann das Mimenhaus, „ein Ort voll Trauer. Voll Schmerzen. Voll Sehnsucht. Voll Gedanken. Erinnerung an Jubel und Rausch. Furcht vor Trübsinn und Trostlosigkeit.“ Die scheinbare Tristess, „wie der Ruhestand einst umjubelter Schauspieler sich anfühlt“, mit dem farblos anschaulichsten Satz des Romans: im Mimenaltersheim gibt es „einen Aufenthaltsraum, der nach einem Mittelding zwischen feudalem Klubhaus und Greisenverwahranstalt aussah. Uralte Guunpai betrachten dort uralte Etruuten auf einem klobigen Wiedergabegerät, das nur Grautöne zeigen konnte.“

Und all das bloßes Schauspiel, ein gewiefter Hintertrieb des größten aller Mimen Klavnar, der dort in greiser Abgeschiedenheit unter selbstverliebt eitlen Ausgedienten das wichtigste aller Schauspiele ergründen will – „Padfuurs Fall“. Dafür hat er sogar das Tabu gebrochen und eine Aufführung davon aufgenommen, wie ohnehin wohl nur im Mimenhaus so ziemlich alle Etruuten archiviert sind, die sonst immer nur live auf Bühnen oder im TV gezeigt werden. Und in diesem Stück verbergen sich psi-illusorische Kräfte, die Guunpai genauso wie Galaktiker mit rot pulsierenden Fäden einnehmen. Erscheinende Luruparushe erhalten von Yaradua zwar kein Bekenntnis zur VECU, aber eines gegen die Kandidatin Phaatom, was anscheinend als guter Wille ausreicht.

Ob wir die Guunpai wiederlesen? Ihre Funktion, den Zugang zur Zerozone mit ihren Etruuten und allen voran „Padfuurs Fall“ kunstvoll zu umfädeln und unter Schauspielnetzen zu verbergen, haben sie erfüllt. Da ihre Kultur auch gerade so der der Erde der 1950er- und 1960er-Jahre entspricht, ist kaum anzunehmen und zu hoffen, dass Ebdowakrot oder Kollegen noch gehaltvoll werden beitragen können. Das wäre sehr sehr schade, denn viel zu viel fabulierendes Potenzial in den „Theaterspinnen“ schlummert, das man bergen sollte!

2. Donn Yaradua

Auf Khaiguna „geht ein ungewöhnliches Team in einen Einsatz, von dem viel abhängt. Es gibt interne Konflikte, es gibt seltsame Begegnungen, und am Ende sind viele der Beteiligten ein bisschen klüger als zuvor.“ So fasst es Klaus Enpunkt Frick auf seinem Blog sehr gut zusammen.

Ich möchte dennoch absichtlich kritisch ergänzen: Wie kann man denn bitte auf die Idee kommen, dieses Team so zusammenzustellen? Und es formal von Donn Yaradua, „der stets verzweifelt den Eindruck zu erwecken suchte, er wüsste, was er täte“ (Zitat Ebdowakrots), „anführen“ zu lassen? Zwei die allermeiste Zeit wie Holzstangen herumstehende und nur formal dazugehörende Index-Bewahrer.

Beschönigend: sie „hielten sich mit Rat und Urteil zurück.“ Der eine merkt gar nicht erst, dass sein Span aufleuchtet und kann auch nur seinen Nacken zur allgemeinen Orientierung freihalten. Der andere plaudert gegen Ende (Kap. 21) auf einmal munter drauf los, wie das mit den Völkern in der Vecuia bisher so war. Iwán/Iwa wiederum agiert vielfach proaktiv, das aber zumeist auf eigene Initiative und eher nicht auf koordinierende Anweisung Yaraduas hin. Und Farye? Sie ist dabei, bringt ihren Liebsten mit einer zünftigen Watsche SCHON NACH DREI TAGEN zur Besinnung und auf die innovative Idee, doch mal kooperativ die Fähigkeiten des Teams gewinnbringend zu dirigieren.

Kurzum: ein perfektes, wenigstens mal in einem zielführenden Briefing aufeinander abgestimmtes Team ist das hier gewiss nicht. Und Entsender der Truppe war niemand geringeres als Perry Rhodan. Dass der sich nicht “bei zwei erwachsenen Menschen in der Balzphase einzumischen“ gedenkt, ist taktisch nur geschickt. Aber warum er angesichts der Missionsbedeutung nicht sich, Tolotos und ähnlich erfahrene Haudegen aussendet, sondern einen Donn Yaradua in persönlicher, sehr eierigen Findungsphase, ist … schon überraschend. Nicht missverstehen, das ist soweit alles gut zu lesen und auch NOCH nachzuvollziehen. Donns trübsinnige Gedanken zum vorig gescheiterten, Siad Tan verlierenden Einsatz sind da sehr eindrücklich und passend. Aber diesen ohnehin sehr grübelnden Donn zur Ablenkung, zur Wiedergutmachung sogleich erneut loszuschicken – ich weiß nicht.

3. Zerozone

Zur Erinnerung: „Als Index der Vecuia wird das Verzeichnis aller von der Vecuia entsorgten Relikte diverser Superintelligenzen bezeichnet.“ Dass DER ZUGANG ZUR Zerozone indiziert ist und im Siuvarsystem auf Khaiguna liegt, bedeutet also, dass es sich dabei um ein ggf. uraltes Relikt einer verblichenen Superintelligenz handelt, das von der Vecuia entsorgt worden ist. Halbwegs entsorgt, denn es ist anscheinend zugriffsfähig auf dem (inzwischen ehemaligen) Territorium der Vecuia gelagert und prinzipiell einsatzbereit. Ob auch die Zerozone als solche ein künstlich geschaffenes Relikt ist oder vielmehr “eine neue kosmische Ebene“ wie Hyper- oder Linearraum, von der man bisher nur noch nichts hörte, bleibt zu erlesen.

Für Letzteres spricht, dass 270 Mio. Lichtjahre von Ancaisin entfernt rund 500 Jahre zuvor Lan Meota, dann Gucky mittels Schmerzensteleportation Zutritt zur Zerozone bekamen. So wenig sie und wir Lesende das damals einordnen konnten und es für „Expo-Zufall“ hielten, mit ein wenig Schmerz jetzt selbst Paratronschirme durchdringen zu können, so sehr scheint die Zerozone kosmische Räume zu umfassen oder zu verbinden. Das erinnert etwas an die Brevizone mit ihren Breviaturen der Stadt Allerorten. Gutmöglich ist es aber auch ein völlig anderes kosmisches Phänomen mit ureigenen Zugangstechniken. Bully wäre es zu wünschen, dass nicht alle, aber überhaupt Wege wieder nach Pha Gashapar und zu seiner Familie führen …

Hier hingegen erfahren wir, dass der Sextadim-Span mit dem Zugang interagiert, in Shaupaards Nacken aufleuchtet und mit strahlender Intensität den Weg weist. Vor Ort als Brückentroll eine schlichte Steinsäule, die telepathisch ein Permit in den Dungeon einfordert. Das wiederum trägt nicht der Span-Träger mit sich, sondern qua Geburtsrecht Iwán/Iwa, zumindest das akzeptiert und eingelassen wird.

Interessant noch, wie verquickt die Sicherung des Zugangs durch die telepathische Wächtersäule mit dem Völkchen der Guunpai und v.a. deren theatralem Schauspiel ist. Weil bei der Aufführung des fast vergessenen Stücks „Padfuurs Fall“ suggestive Psikräfte freigesetzt wurden, erst diese Hinweise auf den Zugangsstandort getriggert haben, mutmaße ich: einst VECU resp. ihr voriges Volk der Luruparushe hat in die Entwicklung der Guunpai eingegriffen, dass sie sich zwar langsam weiterentwickelten (bis zur Technik des Schwarzweiß-Fernsehens immerhin), aber nicht ihre kulturellen Errungenschaften des Schauspielens dabei verlieren. Denn inmitten der dramatischen Darstellerei verbergen sich „Die Fäden, die die Welt bedeuten“ – sowohl der spinnenhaft fädenziehenden Guunpai als auch die Fäden nicht der Ariadne, sondern Klavnars zur Zerozone. Ein Langzeitplan folglich?

Wichtigster Satz zur Zerozone, deren Zugang „auf dieser Seite“ von „allem“ zu finden ist, und was uns dort erwarten wird: „Nur war dort nur ein graues, gestaltloses Territorium, ohne Horizont. Die Rohmasse einer Schöpfung, die erst noch stattfinden musste.“ Sense of wonder – faszinierend!

Fazit zu „Die Fäden, die die Welt bedeuten“

Toller Roman! Und das, obwohl er in mancherlei Hinsicht dem aus voriger Woche recht ähnlich ist, dass und wie der Trupp über die Welt stolpert und am Ende erst die große Enthüllung steht. Doch verwebt Kai Hirdt die Fäden der Handlung m.E. wesentlich eleganter und baut sehr viele sehr schöne Charakterisierungen nahezu im Vorbeigehen ein. So am Anfang, wie “mit ein bisschen Humor“ Perry sich zunehmend alt fühlen muss, weil er als einziger das Schwarz-Weiß-Fernsehen auf Khaiguna erkennt, während alle Übrigen mit Unverständnis auf die Filme starren. In Summe ist das wesentlich runder.

Und neben dem final entdeckten Zugang zur Zerozone, womit es mit ihr erst richtig beginnen kann, gibt es noch die Brotkrumen, hingeworfen von den bis dahin stummen Bewahrern: die vier Hauptvölker der Vecuia wechselten im Laufe der Zeit, so ging vor mehr als 10.000 Jahren den Cairanern voraus ein historisch getilgtes Volk der Vergessenen – hintertrieben sie so arg, dass sie zum Vergessen waren? Sowie die Luruparushe, diese als „Feuertrommler“ mit der Fähigkeit, die Vergangenheit einzusehen – womit sie das temporale Gegenstück zu den Thesanit waren, die bekanntlich per temporalen Kanal die Zukunft einsehen können. Ob der Wechsel der Perspektive entlang des Zeitstrahls eine tiefere Bedeutung hat? Und wieso diese ausgedienten Luruparushe nun hier als Psi-Illusionen doch noch auftreten? Wird sicher noch sehr wichtig! Und dass Cairaner in der Milchstraße ein nächstes Volk suchen, bekommt ganz neue Gewichtung. Nachfolger für Luruparushe und Thesanit?

Und dann noch ANANSI, die mir schon 3039 „Die Kanzlei unter dem Eis“ mit Eigenheiten aufgefallen war. Nun fühlt sie sich als Semitronik auf einmal mit der RAS TSCHUBAI identisch und redet von „Er ist bei mir“ und „Ich bin überall“, was nun wirklich alles, nur nicht präzise ist. Er ist Bru Shaupaard, zu dem sie „gegenwärtiger“ und zugleich „begrenzt allgegenwärtig“ ist und mit dem sie merkwürdig metaphysische Gespräche führt. Perry und Co. können hierzu hinzustoßen, ANANSI hält diese aber zuerst einmal abseitig von der Crew ab. Da sollten wir weiter wachsam bleiben!

Damit sind mehr neue Fäden gesponnen, als dass auch nur ein Gordischer Knoten zerschlagen worden wäre. Umso passender „Die Fäden, die die Welt bedeuten“ als mit einem Komma ungewöhnlich formulierter Romantitel, der trefflich für diesen Roman steht und auf die „Rohmasse der Zerozone“ vorausdeutet.

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Dominic Schnettler
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