Zwischenstopp auf einer langen Reise – ein Haluter tobt sich aus.

Drangwäsche
© Pabel-Moewig Verlag KG

Titel: Drangwäsche
Autor: Michael Marcus Thurner
Titelbild: Dirk Schulz
Erschienen: 22.05.2020

Zur Handlung

Die RAS TSCHUBAI auf dem Rückflug von Ancaisin in die Milchstraße: Icho Tolot befallen die Vorboten einer Drangwäsche. Man kommt über ein, ihn in der Galaxie NGC 1169, genannt Tauk, Stop zu machen und Tolotos sich unter der Aufsicht des epsalischen Sicherheitschefs Onker Dou austoben zu lassen. Die Wahl der Galaxie war von ANANSI vorgeschlagen, die die Koordinaten hierzu von Bru Shaupaard inoffiziell erhalten und bisher nicht kundgetan hatte.

In einem Beiboot fliegt Tolotos herum, gerät zu einer Raumschlacht, in der er emotionalisiert Partei für die unterlegene Seite ergreift. Es stellt sich heraus: Die Aggressoren sind gatasische Blues, die über die Maßen brutal und gnadenlos vorgehen. Und dann treten auch noch gleichermaßen rücksichtslose Terraner auf, die aber nicht sind, was sie zu sein scheinen: Sie tragen „biologische Mäntel“, sind Androiden in aufsteigender Fertigungsnummerierung, seien vor 200 Jahren von Rhodan nach Villanova ausgesandt und gehorchen ihren Oberhäuptern der Schirmherrin 8-Riordan und dem Vordenker 9-Saedelaere!

Die Drei Ultimaten Beobachtungen

1. Drangwäsche – ein Vurhatu-Problem

Icho Tolot und das Phänomen der halutischen Drangwäsche sind zusammen bereits im legendären Band 200 Die Straße nach Andromeda eingeführt worden und seit – über 2866 Romanen – Bestandteil des Perryversums. Doch: »Noch nie haben wir eine Drangwäsche aber so geschildert bekommen wie in dem Roman« Drangwäsche, wo wir zumeist aus der Sicht Tolots miterleben, wie sie sich Bahn bricht. Ergänzt um die Außensicht Onker Dous, der besorgt bis insgeheim ängstlich wegen zunehmender Unkontrolliertheit des Haluters gewissenhaft dessen „Gouvernante“ spielt. Tolotos‘ Drängen nach Abenteuer, Wildheit, intensivstem Ausleben der uralten Bestieninstinkte wird eindrücklich greifbar!

Autorenheit MiMaThu hat folgendes Zitat zur Drangwäsche exzellent mit Worten anschaulich gemacht:

“[…] Weißt du, ein Haluter spürt es schon lange Zeit vorher. Es ist wie ein Feuer, von unsichtbarer Hand gelegt. Es flammt an irgendeiner Stelle in deinem Körper auf und wächst. Du kannst es nicht aufhalten. Zwei Herzen und zwei Gehirne reichen nicht aus, um es zu ersticken. Auch eine längerfristige Strukturumwandlung des Körpers bezwingt es nicht. Es brennt weiter und weiter, und irgendwann bricht es wie ein Vulkan aus dir hervor. Dann kannst du nichts mehr aufhalten. Dann musst du dem Drang nachgeben. […]“

Mit sehr schönen Details gibt er der Drangwäsche sogar noch mehr perryversale und in dem Sinne realistische Tiefe: Wir erfahren ihre halutische Bezeichnung – Vurhatu und dass sich Xenobiologen resp. Halutologen intensiv mit dem Phänomen beschäftigt haben:

“Zwischen den Sternen lauert das wahre Leben. Verfasst von Bré Tsinga, mit Ergänzungen durch ihre Enkelin Anni K. Tsinga. Sechste Neuauflage. Das Standardwerk zur halutischen Drangwäsche.“

Jedoch wohl schon in 2518 Patrouille der Haluter ersterwähnt worden. Bré Tsinga kommt so immer wieder zu Amt und Würde – ich meine, sie hätte zahlreiche Standardwerke verfasst. Tolot wiederum erwischt es seiner Selbstdiagnose zufolge zwei Jahre zu früh, denn:

“Ein Vurhatu tritt nicht periodisch auf. Äußere Bedingungen können sein Einsetzen herauszögern, aber auch beschleunigen.
Es geht um besondere Trigger wie eine zu silikathaltige Ernährung über einen längeren Zeitraum. Oder mangelnde Bewegung. Oder bestimmte Reize, die von Haluter zu Haluter unterschiedlich sein können. Bei dem einen sind es besondere Farbkombinationen, bei dem anderen Atmosphärezusammensetzungen. Auch einzelne Keime und Bakterien werden als Grund für den Auslöser der Drangwäsche genannt.
Es gibt tatsächlich statistisch relevante Hinweise, dass der Hypertransflug unterschwellige Effekte auslöst. Sie sind allerdings für sich genommen trotz ihrer nachgewiesenen Relevanz marginal und kaum anmessbar. Aber sie bauen sich nur langsam ab, vermutlich.“

So die Vermutungen, die auch mich noch nicht restlos überzeugen. Warum die sog „Vorwehphase“ just im Nirgendwo auftritt, wenn man un-zufälligerweise in der Nähe von NGC1169 kreuzt, wo einzufliegen ANANSI auffallend nahelegt. Denn Bru Shaupaard hatte ihr genau diese Koordinaten (samt Hinweis auf den zur Milchstraße weisenden Spiralarm) gegeben, worüber sie bis dato nichts hat verlauten lassen. Wollte sie just jetzt aber gewiss sowieso – wie eigensinnig! Ja, ich vermute dringend, dass es da noch einen viel entscheidenderen Trigger als den Hypertransflug gibt: Die VECU resp. ihr in Tolotos zeitweise sitzender Splitter – 3055 Die VECU von – Überraschung – auch schon MiMaThu

2. Von Gockeln

Wenn, ja wenn MiMaThu beim Verfassen von Drangwäsche schon Das bizarre Sexualleben der Tiere aus dem Papiermüll errettet und zur Hand gehabt hätte – wir hätten unfassbare Einblicke in den „Hühnerstall der Spavnos“ erhalten…

So bekommen wir in nur 4 der 20 Kapiteln wenige und doch lebhafte Eindrücke dieser avoiden Spavnos, wo die Frauen wie Hennen auf Stangen zu hocken und als Haupt- und Nebeneierinnen aktiv zu werden scheinen und sich die Männer wie Gockel aufzuplustern verstehen. Obergockel Kibrr, der über volle acht Greifkrallen zu verfügen vermag und vor dem ewigen Nest noch auf die neunte hofft; hingegen Hadrr sein auserwählter „Gelegekönig“, der zu Anfang nur mit drei Greifkrallen hantieren kann und schon mit der vierten Probleme hat.

Doch als es darauf ankommt, als Kibrr vor lauter Panik sein Kleines wie eine ängstliche Glucke mit den Flügeln umfasst hält, wächst Hadrr über sich hinaus: Auf einmal kann er – wie seit Jahrhunderten niemand mehr – alle möglichen zehn Greifkrallen ausfahren und damit wie magisch fingern, dass es selbst mordlustige Gataser in die Flucht jagt. Und als auf ihrer Heimatwelt wieder Ruhe einkehrt, dank Tolotos‘ drangewaschenem Eingreifen die Gataser fluchtartig abgezogen sind, kann Kibrr der Zehner sein Volk krallenfertig Mut zusprechen.

All das hätte nicht sein brauchen, ist für den Handlungskern (Drangwäsche und Zusammentreffen mit Gatasern und Terranern) irrelevant. Es hätte genügt, dass wir die Welt der Spavnos nur aus Tolots und ggf. noch Dous Sicht kennenlernen, als Schlachtfeld gnadenlos wütender Gataser, gegen die sich Tolotos, wutentbrannt dann aber auch in sich ruhender Onker Dou stellen. Auch lassen wir die zerrupften Vogelartigen zurück – sie dürften nicht mehr auftauchen. Anderes ist nun wichtig. Dennoch famos, wie MiMaThu einmal wieder ganz eigensinniges Volk in so wenigen Strichen zeichnet.

3. Tauk – Villanova – Cartwheel

NGC1169, von Tolotos Tauk genannt, was Halutisch “Kampfgebiet“ bedeutet. In ein solches geraten sie und hier erweist sich nach und nach das Geheimnis von Villanova, dem neuen Haus der hierhin geratenen Terraner.

Es hat damit nichts zu tun, aber kurz fühlte ich mich an Galaxie Cartwheel erinnert, aus dem gleichnamigen Zyklus der Fanromanserie DORGON. Dorthin zieht es viele Angehörige von Milchstraßenvölkern bzw. ein Ruf ereilt sie, dem sie folgen. Und so gibt es zig galaktische Völker weit weit entfernt. Nur insofern hier ähnlich, als dass man fern der Heimatgalaxis (noch 112 Mio. Lichtjahre) unverhofft vermeintlich auf Blues und Terraner trifft.

Blues, genauer Gataser in altbekannten, kaum modifizierten Schiffstypen aus Mitte des 15. Jahrhunderts NGZ: »Es handelt sich um Schiffstypen, die die Gataser um das Jahr 1450 NGZ entwickelt und anschließend für mehr als hundert Jahre in Form von Prototypen verwendet haben. Anschließend waren diese Disken zweihundert Jahre lang im Gebrauch. Als Schiffe der ENNDYRT-Klasse.«

Terraner, die vor 200 Jahren von Rhodan entsandt worden sein wollen. Nur dass Rhodan da noch im Alkoven der RAS TSCHUBAI die 500 Jahre überschlummerte. Zumindest unser Mann im All, denn wir haben einst einen randständigen Hinweis auf einen anderen Rhodan erhalten: Im Gastroman von Andreas Brandhorst Nr. 3005 „Wiege der Menschheit“ entdecken die Shenpadri auf Tellus Teile des alten Terranias – nur dass hier etwas nicht stimmen kann, denn es stehen zahlreiche Statuen Rhodans in eindeutiger Diktatorenpose herum!

Diktator Rhodan, wie er letzte Woche in Beteigeuze von Krimmer herbeifantasiert worden ist, könnte eventuell diese Villanova-Terraner entsandt haben. Das aber vor 200 Jahren, als es definitiv keinen Rhodan gleich welcher Art in der Milchstraße gab, ja nicht mal mehr ein Terra. Ein „dritter Zweig“ oder ein Paralleluniversum, aus dem da irgendwie etwas herübersickert? Reicht das Dyoversum denn nicht, in dem es wiederum mit Iya – soweit wir wissen können – nie ein Terra gegeben hat (wäre den Topsiderinnen aufgefallen).

Und wann welcher Rhodan wozu auch immer Terraner losschickte – wieso sind die androidenhaft adaptiert, tragen die völlig verschiedenartige DNA & Co.? Wozu sind sie so sehr auf aggressiv getrimmt? Und woher kommen dann die Gataser – in etwa auch aus dem gleichen Zeitraum stammend? Das überfordert mich jetzt doch arg, wo ich mir einigermaßen die beiden Zweige zurechtgelegt und plausibilisiert habe. Vage ziehe ich dann noch das Totum aus unintelligenten Universen hinzu. Und nun doch 112 Mio. Lichtjahre fern der Milchstraße in einem aus auffallend vielen blauen Riesen bestehenden Spiralarm tummeln sich wandelnde Genexperimente, Frankensteine mindestens mal zweier Milchstraßenvölker.

Fazit zu Drangwäsche

»Er ist das „Biest“ der PERRY RHODAN-Serie, das im Herzen eigentlich ein edler Prinz ist.« So die Kurzform MiMaThus, was die anhaltende Faszination für Icho Tolot ausmacht. Und er fährt jubilierend fort:

“Ich war mit der Arbeit an Drangwäsche – bis auf ein paar Kleinigkeiten – sehr zufrieden. Band 3066 ist mir einer der liebsten Romane, die ich je für PERRY RHODAN geschrieben habe. Ich bin schon gespannt, ob es die Leser genauso sehen.”

Da ich nicht alle kenne oder erinnere, kann ich das nicht abschließend sagen. Mir fällt ein Drei-, ein bis zwei Zweiteiler ein, die ich von ihm höher schätze. Aber die fabulierende Erzählfreude lese ich heraus und die kommt auch tüchtig an. Fand Drangwäsche in jedem Fall einen dicht beschriebenen Roman mit großartigen Vurhatu-Einsichten, genauso interessanten Draufsichten und skurrilen Gockeln. Obendrein wurde ein Tor aufgemacht, von dem ich nicht mal etwas ahnte und auch nicht weiß, wohin uns dann denn jetzt noch führen mag. Im PROC-Interview liefert der Autor zehn Antworten, aber mitnichten auf meine Fragen.

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Dominic Schnettler
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