Erst spät entwickelte Phase IV seinen Ruf als Kultfilm.

Saul Bass, ein Meister seines Fachs

Wenn man an Filmschaffende denkt, die die Welt des Kinos nachhaltig veränderten, fallen dem geneigten Leinwandenthusiasten meistens Namen wie Alfred Hitchcock, Stanley Kubrik oder auf deutscher Seite vielleicht Rainer Werner Fassbinder ein. Doch wem käme als Erstes ein Künstler wie Saul Bass in den Sinn? Und vor allem warum? Schließlich hat Bass in seiner langen Karriere mit Phase IV nur einen einzigen abendfüllenden Film als Regisseur auf der Habenseite zu verbuchen.

Und doch schreibt der renommierte Filmwissenschaftler Jan-Christopher Horak in seinem Werk Saul Bass: Anatomy of Film Design über den US-amerikanischen Grafikdesigner und Typografen, dass kaum jemand den „look of both film advertising and Hollywood films“ (Horak 2014: 3) so stark beeinflusst habe, wie er.

Saul Bass (1920 – 1996) war in ärmlichen Verhältnissen in der Bronx als Kind jüdischer Einwanderer aufgewachsen und kam als Autodidakt nach Hollywood, wo er ab 1954 Filmtitelsequenzen (u. a. The Man with the Golden Arm, Vertigo, Psycho, Spartacus) erstellte. Bald darauf kamen Logos und Filmposter hinzu. Sein Stil war mit einer Kombination aus Avant-Garde-Techniken und populärer Kunst so ausgefeilt, dass seine Werke bis heute kopiert und rezipiert werden und als Inspirationsquelle für modernde Filmemacher dienen. Dabei blieb Bass sich stets treu und arbeitete bis auf wenige Ausnahmen nur an Projekten, die seiner liberal-amerikanischen Einstellung entsprachen (vgl. Horak 2014: 353).

Eines davon, und im Nachhinein für ihn vielleicht eines der enttäuschendsten, war Phase IV. Nicht etwa, weil er die Arbeit an dem Film nicht geliebt hätte, sondern weil er das Zusammenwirken mit Studios und Produzenten als zu schwierig empfand. Vor allem mit Paramount, die als Distributor auftraten, wollte es einfach nicht klappen.

Die Vorgeschichte von Phase IV

Die ersten Testscreens von Phase IV führten bei dem ausgewählten Publikum zu durchwachsenen Reaktionen, woraufhin Bass den Film umschneiden musste. In der Folge fiel auch das ursprüngliche Ende der Schere zum Opfer und wurde sowohl stark gekürzt, als auch simplifiziert. Ein weiteres Problem war, dass das Studio offenbar nicht wusste, was es mit dem Werk anfangen sollte.

Weil Phase IV im Windschatten von Streifen wie The Hellstrom Chronicles (Die Hellstrom-Chronik, 1971) und Invasion of the Bee Girls (Invasion der Bienenmädchen, 1973) entstand, bewarb man ihn stur als Horrorfilm. Sinnvoller wäre hingegen aufgrund der Komplexität und der künstlerisch hochwertigen Bildkompositionen eine Einsortierung in Richtung von 2001: A Space Odyssee (2001 – Odyssee im Weltraum) gewesen (vgl. Horak 2014: 342). Das Ergebnis all dieser Hindernisse war letztlich, dass Saul Bass nach Vollendung des Werks den Regiestuhl für immer zusammenklappte. Allerdings gab er in einem späteren Interview freimütig zu, dass er die Kürzung des übrigens erst 2012 wiederentdeckten Finales (vgl. Gilchrist 2012) gut verstehen könne, weil dieses zu lang und zu abstrakt geraten sei (vgl. Horak, 2014: 353).

Die Produktionsgeschichte

Die Entstehung des ersten groben Entwurfs könnte im Gegenzug simpler kaum sein. Die Idee zu Phase IV brüteten der damalige Vizepräsident von Paramount, Peter Bart, und der Produzent Paul Radin zwischen einigen Cocktails beim Dinner aus. Bart fragte Radin, ob er etwas in der Mache habe.

Obwohl er nichts in der Hinterhand hatte, antwortete Letzterer aus voller Brust: „An ant story.“ Interessanterweise gab Paramount kurz darauf grünes Licht und Radin rief Saul Bass an. Bass hatte einen Freund, der mit Ameisen arbeitete, und mochte die Idee. Also sagte er für eine Gage von 30000 Dollar zu, Regie zu führen, wobei er einen Vorschuss von 5000 Dollar bekam. Der Rest sollte erst folgen, wenn der Film fertig und innerhalb des deklarierten Budgets von einer Million Dollar geblieben war.

Im September 1971 wurde Phase IV angekündigt, im Juni 1972 gab Mayo Simon das fertige Skript ab. Die Aufnahmen sollten in Kalifornien und der Wüste von Arizona stattfinden. Kurz darauf veröffentliche der Hollywood Reporter jedoch einen Artikel mit der Information, dass in London und Kenia gedreht würde.

Die Dreharbeiten begannen am 30. Oktober 1972 in den altehrwürdigen Pinewood Studios und dauerten bis Februar 1973 an. Die Postproduktionsphase zog sich noch bis November 1973 hin. Nach den oben bereits erwähnten Änderungen fand der Pre-Release im August 1974 in New York City statt, ohne dass Paramount für das Event irgendwelche Werbung gemacht hatte.

Damit war der Untergang vorprogrammiert, als Phase IV schließlich am 6. September desselben Jahres in den Kinos startete. Der Film fuhr nicht nur gemischte Kritiken ein, sondern floppte auch an den Kinokassen. Erst mit der Veröffentlichung auf DVD entdeckte eine neue Generation von Filmfans den Streifen wieder. Inzwischen gilt er als Kultklassiker.

Das passiert in Phase IV

Ein kosmisches Phänomen wirkt sich in der Wüstenlandschaft Arizonas auf unglaubliche Weise auf die Tierwelt aus. Ein Ameisenvolk entwickelt unvorhersehbare intellektuelle Fähigkeiten. Anfangs macht sich der evolutionäre Prozess der Insekten kaum bemerkbar, innerhalb von wenigen Generationen lernen die Tiere jedoch, sich gegen ihre natürlichen Feinde zur Wehr zu setzen und zurückzuschlagen.

Niemand außer dem Entomologen Dr. Ernest Hubbs scheint sich für die seltsamen Vorgänge zu interessieren. Deshalb holt er sich den jungen Akustik- und Computerexperten James R. Lesko an Bord, der mit speziellen Versuchsanordnungen die Sprache von Walen entschlüsselt hat. Hubbs ist davon überzeugt, dass die mutierten Wüstenameisen miteinander kommunizieren und einen, bisher nicht absehbaren, Plan verfolgen. In einem einsamen Labor nehmen sie ihre Arbeit auf.

Doch die Ameisenkönigin hat inzwischen weitere Generationen mit noch größeren Fähigkeiten zur Welt gebracht. Außerdem ist das Volk zu einem riesigen Staatengebilde herangewachsen. Nachdem fast alle natürlichen Feinde vernichtet wurden, richtet sich die Insektenarmee nun gegen ihren größten Widersacher, den Menschen. Und niemand scheint sie aufhalten zu können, niemand außer Hubbs und Lesko.

Ein visuelles Feuerwerk

Phase IV gehört zu den Filmen, die ihr Publikum mit ambivalenten Gefühlen zurücklassen, da es sich um einen der untypischsten SciFi-Öko-Thriller der Filmgeschichte handelt.

Vorspannkönig Saul Bass verfiel nicht etwa der Gigantomanie eines Gordon Douglas (Formicula) oder gar Ishiro Honda (Godzilla). Stattdessen besteht der Horror darin, in eindrücklichen Bildern den Entwicklungsprozess eines imaginären Ameisenstaates darzustellen, der aufgrund eines nicht näher beschriebenen kosmischen Ereignisses einen evolutionären Quantensprung vollzieht.

Die Königin hat eine dem Menschen ebenbürtige Intelligenz erlangt. Das ist visuell beeindruckend in Szene gesetzt. Aufnahmen echter Ameisen vereinen sich mit geschickt konstruierten Miniaturen und fast postapokalyptisch wirkenden Landschaftsaufnahmen. Fotografische Tricks und Stilmittel wie Zeitraffer, Makroskopie, geschickt eingesetztes Licht und anderes erzeugen teils psychedelische Eindrücke. Dazu gesellt sich ein hervorragender Soundtrack, der auf elektronischer Basis eine Melancholie, fast Hoffnungslosigkeit verbreitet, die Gänsehaut bereitet.

Die Erzählstruktur

Bass nimmt die Zuschauenden mit auf eine Reise ohne Anfang und ohne erkennbares Ziel. Zwar wird die Ursache für die genetische Veränderung jenes Ameisenstaates direkt zu Beginn kurz erwähnt. Die eigentliche Motivation sowohl der Protagonisten, als auch ihrer tierischen Gegner, wird jedoch kaum thematisiert. Stattdessen schweben unausgesprochene Fragen nach der Stellung des Menschen und sein Verhältnis zur Natur im Raum. Eine Antwort erwartet man jedoch vergebens. Damit lehnt sich Phase IV an die Erzählstruktur von 2001 – Odyssee im Weltraum an (anders etwa: Spiegel 2007: 159)

Trotz der beeindruckenden audiovisuellen Leistung des Filmmachers gelingt es aber nicht vollends, diesen Anspruch zu erfüllen. Der Beginn macht neugierig, und die gezeigten Bilder hinterlassen ohne Frage einen bleibenden Eindruck. Damit ist die Aufmerksamkeit auf einen Plot gerichtet, der aber letztlich hinter den Erwartungen zurückbleibt. Sicherlich, der Kampf Mensch gegen revoltierende Natur ist spannend, doch es fehlt an Überraschungen.

Dr. Hubbs Veränderung ist letztlich zu vorhersehbar. Wäre die Schlusssequenz nicht um rund sechs Minuten gekürzt worden, würde sich dem Zuschauenden vielleicht der größere Gesamtplan erschließen. So entlässt er uns mit unausgesprochenen Fragen, die wir finden und beantworten sollen.

Die Schauspieler

Abschließend noch ein paar Worte zu den Hauptdarstellern Nigel Davenport und Michael Murphy, die trotz der ungelenken Dialogführung von Saul Bass (vgl. Horak 2014: 343) zu gefallen wissen. Den größten Teil des 84-minütigen Werkes sind sie es, die in kammerspielartiger Manier für ein gewisses Konfliktpotential sorgen.

Der besessene Wissenschaftler Dr. Hubbs scheint nach dem Biss einer mutierten Ameise immer mehr dem Wahnsinn zu verfallen, während der junge Enthusiast James Lesko an eine friedliche Koexistenz mit der neuen Spezies glaubt. Kombiniert mit der Enge des quasi unter Belagerung stehenden Labors ergeben sich so recht interessante Passagen, die dem Film Substanz verleihen.

Die Funktion der Rolle der Kendra hinterlässt hingegen einen zu konstruierten Eindruck, was auch an den mangelnden Schauspielkenntnissen von Lynne Frederick liegt. Ihre Filmkarriere blieb entsprechend ein recht kurzes Intermezzo, doch immerhin wurde sie später Peter Sellers Ehefrau und erbte nach seinem Tod sein Vermögen.

Fazit

Phase IV ist trotz kleiner Macken ein Klassiker, dem vielleicht eine exaktere, oder zumindest greifbarere Ausarbeitung des Themas gutgetan hätte. Audiovisuell gehört das Werk aber zu den Meilensteinen des Kinos und damit in jede gut sortierte Genre-Sammlung.

 

Filmografische Daten:

Phase IV
Produktionsjahr: 1974
Genre: Science-Fiction; Öko-Thriller
Länge: 84 Minuten ohne alternatives Ende
Regie: Saul Bass
Produktion: Paul Radin
Drehbuch: Mayo Simon
Kamera: Dick Bush
Schnitt: Willy Kemplen
Musik: Brian Gascoigne

 

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Reinhard Prahl

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